05.09.2011, 14:16
Behold the wall of text.
Auch antiautoritäre Erziehung ist eine Erziehung, die zuerst einmal nichts mit den Bedürfnissen des Kindes zu tun hat. Jede Form von Pädagogik (Erziehungslehre) ist das. Ich kann dir nicht sagen, wie ich meine eigenen Kinder erziehen würde. Erstens muss ich dazu noch ein wenig an meinem Mangel arbeiten und zweitens würde sich das eh erst entscheiden, wenn das Kind da ist. Vorher kann ich seine individuellen Bedürfnisse nicht kennen.
Wenn ich dir jetzt also antworten würde, so oder so sollte es gemacht werden, dann würde ich genau den Fehler begehen, den man unbedingt vermeiden sollte. Wenn zukünftige Eltern Ratgeber wälzen über verschiedene Erziehungsstile und -methoden und sich am Ende für etwas entscheiden ("So machen wir das, das klingt vernünftig"), dann hat das Kind schon fast verloren.
Ich weiß nicht, wie man es richtig macht. Aber je mehr ich darüber weiß, wie man es falsch macht, umso mehr hilft mir das, Fehler zu vermeiden. Kindererziehung ist nichts Beliebiges, wo man sich den Stil aussuchen kann, der einem am besten gefällt und "der Rest wird schon".
Wenn man seinem Kind Respekt entgegenbringt und ihm auf Augenhöhe begegnet, dazu noch etwas Feingespür für seine Bedürfnisse und Gefühle hat und ihm nicht verbietet, selbige auszudrücken, dann sollte das Gröbste schon stimmen. Oder sagen wir, dann hat man die Grundlagen dafür, es nicht allzu falsch zu machen bzw. Fehler auszubessern. Das gelingt einem aber nicht automatisch, nur weil man es sich vorgenommen hat! Der Schlüssel dazu, z.B. auch dass man Fehler ǘberhaupt bemerkt, ist Empathiefähigkeit. Die ist bei Menschen mit Mangel leider mit der Abspaltung der unerwünschten Teile des Selbst kaputt gegangen. Alice Miller und Arno Gruen halten das für die Kernursache für die größten Probleme der Menschheit und ich bin sehr geneigt, ihnen zuzustimmen. Wir haben uns selbst so verstümmelt, dass wir unsere Menschlichkeit verloren haben.
- - -
Was Regeln angeht... mmh... keine Ahnung.
Ich bin einmal im Internet auf Janusz Korczak und das "Recht des Kindes auf seinen eigenen Tod" gestoßen. Diese plakative Forderung klingt auf den ersten Moment ziemlich radikal, regt aber zum Nachdenken an und ist zumindest in abgeschwächter Form nicht von der Hand zu weisen. "Aus Furcht, der Tod könnte uns das Kind entreissen, entziehen wir es dem Leben; um seinen Tod zu verhindern, lassen wir es nicht richtig leben."
In jeder Situation den Tod meines Kindes in Kauf nehmen würde ich jetzt auch nicht wollen. Vielleicht wenn es auf einen Baum klettert, okay. Aber wenn es beim Überqueren der Straße blind vor ein Auto rennt, scheint mir das ein sehr sinnloser Tod zu sein.
Grundsätzlich kann man wohl behaupten: Jedes Verbot verhindert mindestens eine Erfahrung. Und wenn die Persönlichkeit des Kindes es dazu treibt, diese Erfahrung zu machen, behindert es logischerweise auch seine Entwicklung in dieser Hinsicht, ja.
Erfahrungen selbst zu machen, ist sehr wichtig, und vor den meisten kann man seine Kinder sowieso nicht bewahren. Daher sollte man sich immer die Frage stellen, ob ein Verbot an einer Stelle wirklich notwendig ist. Vor allem, wenn man dazu neigt, es ganz selbstverständlich auszusprechen, ohne groß darüber nachzudenken. Denn gerade dann kann es sein, dass es nur dem eigenen Wundenschutzreflex entspringt.
Gegen sinnvolle Regeln ist nichts einzuwenden. Aber wann ist eine Regel sinnvoll? Auch hier könnte man ein "unabhängiges Gremium von Menschen ohne Mangel" gut gebrauchen. Ich würde mal vorsichtig die Faustregel anstoßen, dass eine Regel zumindest dann nichts taugt, wenn ich sie nicht durchzusetzen kann, ohne das Kind zu verletzen - in unverzichtbaren Fällen eingeschränkt auf "nachhaltige" Verletzungen.
Das Problem von "Regeln" ist auch, dass damit selten eine Erklärung verbunden ist. Regeln sind wie Gesetze, sie drücken aus, was man (nicht) tun darf. Der Regeltext sieht keine Erklärung der Motivation vor, die dem Kind plausibel machen könnte, warum es diese Regel befolgen sollte. Dafür gibt es aber eine einfache, nahe liegende Lösung.
Btw: So pervertiert ist unsere Gesellschaft auch nicht (mehr), dass ein "artgerecht" aufgewachsener Mensch damit überhaupt nicht kompatibel wäre. Das glaube ich nicht. Es hat sich schon viel getan. Körperliche Misshandlungen zu verbieten, geht in die richtige Richtung. Auch die Erkenntnis, dass der blaue Fleck gar nicht das Schlimmste ist und Schlagen nur ein Medium von vielen ist, um Kindern seelische Demütigungen zuzufügen, ist so langsam zumindest in den Köpfen von Pädagogen angekommen. Was aber noch fehlt, ist die Einsicht, dass die meisten Erwachsenen Kinder immer noch täglich demütigen - auch mit bester Absicht, da sie einfach ihre eigene Wunde verleugnen und getrieben sind.
Außerdem wird die Gesellschaft ihre Regeln anpassen, je größer der Anteil an Unverwundeten wird.
Das einzige, was einen in letzter Instanz daran hindern kann, zu morden, sind nicht Erziehung oder Regeln, sondern Mitgefühl, von dem sich die meisten - häufig trotz Erziehung - einen letzten, entscheidenden Rest bewahrt haben. Im Gegenteil: Erziehung ist das beste Mittel, um aus Kindern perfekte Soldaten zu machen. Denn hinter einem Bedürfnis nach (autoritärer) Erziehung steckt ein Wunsch nach Gehorsam und dahinter eine Angst vor Ungehorsam - und letztlich eine Wunde.
Respekt kann man Kindern durch Regeln nicht "beibringen". Sie können das nicht einmal positiv beeinflussen. Gerade Regeln werden oft als Instrument der Missachtung verwendet. Ich packe nochmal das bekannte Zitat von Alice Miller aus:
Insofern von mir ein klares Ja! zu Vorbildern. Ganz wichtig ist aber auch, dass Vorbilder authentisch sind. Der gute Wille reicht nicht. Ich bin mir sicher, das wisst ihr, will es aber trotzdem erwähnen.
"Ich will nicht, dass mein Kind anfängt zu rauchen, rauche aber selber, also mach ich das halt heimlich" -> keine Chance. Das heißt nicht, dass das Kind dann automatisch das Rauchen anfängt, sondern nur, dass es nichts mit dem "Vorbild" zu tun hat, wenn es es nicht tut. Es heißt ja auch Vorbild sein und nicht Vorbild tun. Daher läuft das auch ganz automatisch ab. Man ist immer Vorbild, mit seinen guten, wie mit seinen schlechten Eigenschaften. Und eben auch im Umgang mit seiner Wunde. Wie ich sagte: Man gibt den Mangel zwingend weiter, ob man will oder nicht. Die Folgen für das eigene Kind sind nicht vorhersehbar.
Zum Authentischsein fällt mir eine kleine Anekdote ein:
- - -
Fairerweise muss ich an der Stelle auch den Raben fragen, was er sich unter einem "mittelmäßigen Kind" überhaupt vorstellt?
Ich verwende "normal" übrigens wie in "Normalverteilung". "Normal" ist für mich die Mehrheit (plus Abweichungstoleranz) und sie bestimmt die "Norm". Als Synonym zu "ideal" müsste man eh noch klären, was denn ideal ist.
Die Frage ist halt auch, ob das Kind überhaupt will, was es da versucht. Wenn ja und es sich nur nicht traut, sollte man es natürlich ermutigen. Wenn das nicht reicht: Ursache suchen, Hindernisse identifizieren, Bedingungen verbessern. Fragen, was ihm helfen würde, was nach seiner Vorstellung anders sein müsste. Auch hier ist der Schlüssel das Einfühlungsvermögen des Erwachsenen.
Wenn das Kind das aber nicht will und man es trotzdem dazu ermutigt, weil man es nicht merkt, ist das natürlich schädlich. Dann geht es bei den Ermutigungen aber auch nicht mehr um das Interesse des Kindes, sondern um das des Erwachsenen. Dieser hat vielleicht in seiner eigenen Kindheit die Überzeugung verinnerlicht (bekommen), dass es eine gute/förderliche Erfahrung sei, wenn man sich mal durchbeißen muss, um etwas zu erreichen.
Das ist ein konkretes Beispiel dafür, welche Folgen es haben kann, wenn man mein, sein Kind "für das Leben abhärten" zu müssen. Wahrscheinlich bedeutete es damals schon eine Missachtung des eigentlichen Bedürfnisses des heute Erwachsenen, da es zum Verlust seiner Empathiefähigkeit geführt hat. Das Tragische ist, dass diese Fähigkeit ihm in der aktuellen Situation ermöglichen würde, zu sehen, dass es dem Kind, das er in bester Absicht ermutigt, genauso ergeht wie ihm selbst damals. Er würde dann merken, dass es überhaupt nicht will, wozu er es "zu seinem Besten" anspornt, und dass er in diesem Moment Gewalt ausübt. Aber da er nicht mehr weiß, wie sich diese Missachtung damals angefühlt hat, weil er diesen Aspekt seines Selbst abspalten musste, ist es ihm nicht möglich, die Situation des Kindes zu erkennen.
Alpha Zen schrieb:@bones: Deinem Text entnehme ich, du bist für die Abschaffung der Norm (bzw. das, was die Mehrheit für normal hält), damit sich jeder so entwickeln kann, wie es "aus seinem Inneren heraus vorgesehen ist"? Läuft das nicht in Richtung antiautoritärer Erziehung? Denn so wie ich deinen Text jetzt lese, bist du dafür, Kindern keine Regeln vorzuschreiben, weil es sie sonst in ihrer Entwicklung stört. Oder interpretiere ich das dann doch etwas zu heftig? ^^Ich glaube fast, du interpretierst das noch nicht heftig genug.
Auch antiautoritäre Erziehung ist eine Erziehung, die zuerst einmal nichts mit den Bedürfnissen des Kindes zu tun hat. Jede Form von Pädagogik (Erziehungslehre) ist das. Ich kann dir nicht sagen, wie ich meine eigenen Kinder erziehen würde. Erstens muss ich dazu noch ein wenig an meinem Mangel arbeiten und zweitens würde sich das eh erst entscheiden, wenn das Kind da ist. Vorher kann ich seine individuellen Bedürfnisse nicht kennen.
Wenn ich dir jetzt also antworten würde, so oder so sollte es gemacht werden, dann würde ich genau den Fehler begehen, den man unbedingt vermeiden sollte. Wenn zukünftige Eltern Ratgeber wälzen über verschiedene Erziehungsstile und -methoden und sich am Ende für etwas entscheiden ("So machen wir das, das klingt vernünftig"), dann hat das Kind schon fast verloren.
Ich weiß nicht, wie man es richtig macht. Aber je mehr ich darüber weiß, wie man es falsch macht, umso mehr hilft mir das, Fehler zu vermeiden. Kindererziehung ist nichts Beliebiges, wo man sich den Stil aussuchen kann, der einem am besten gefällt und "der Rest wird schon".
Wenn man seinem Kind Respekt entgegenbringt und ihm auf Augenhöhe begegnet, dazu noch etwas Feingespür für seine Bedürfnisse und Gefühle hat und ihm nicht verbietet, selbige auszudrücken, dann sollte das Gröbste schon stimmen. Oder sagen wir, dann hat man die Grundlagen dafür, es nicht allzu falsch zu machen bzw. Fehler auszubessern. Das gelingt einem aber nicht automatisch, nur weil man es sich vorgenommen hat! Der Schlüssel dazu, z.B. auch dass man Fehler ǘberhaupt bemerkt, ist Empathiefähigkeit. Die ist bei Menschen mit Mangel leider mit der Abspaltung der unerwünschten Teile des Selbst kaputt gegangen. Alice Miller und Arno Gruen halten das für die Kernursache für die größten Probleme der Menschheit und ich bin sehr geneigt, ihnen zuzustimmen. Wir haben uns selbst so verstümmelt, dass wir unsere Menschlichkeit verloren haben.
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Was Regeln angeht... mmh... keine Ahnung.
Ich bin einmal im Internet auf Janusz Korczak und das "Recht des Kindes auf seinen eigenen Tod" gestoßen. Diese plakative Forderung klingt auf den ersten Moment ziemlich radikal, regt aber zum Nachdenken an und ist zumindest in abgeschwächter Form nicht von der Hand zu weisen. "Aus Furcht, der Tod könnte uns das Kind entreissen, entziehen wir es dem Leben; um seinen Tod zu verhindern, lassen wir es nicht richtig leben."
In jeder Situation den Tod meines Kindes in Kauf nehmen würde ich jetzt auch nicht wollen. Vielleicht wenn es auf einen Baum klettert, okay. Aber wenn es beim Überqueren der Straße blind vor ein Auto rennt, scheint mir das ein sehr sinnloser Tod zu sein.
Grundsätzlich kann man wohl behaupten: Jedes Verbot verhindert mindestens eine Erfahrung. Und wenn die Persönlichkeit des Kindes es dazu treibt, diese Erfahrung zu machen, behindert es logischerweise auch seine Entwicklung in dieser Hinsicht, ja.
Erfahrungen selbst zu machen, ist sehr wichtig, und vor den meisten kann man seine Kinder sowieso nicht bewahren. Daher sollte man sich immer die Frage stellen, ob ein Verbot an einer Stelle wirklich notwendig ist. Vor allem, wenn man dazu neigt, es ganz selbstverständlich auszusprechen, ohne groß darüber nachzudenken. Denn gerade dann kann es sein, dass es nur dem eigenen Wundenschutzreflex entspringt.
Gegen sinnvolle Regeln ist nichts einzuwenden. Aber wann ist eine Regel sinnvoll? Auch hier könnte man ein "unabhängiges Gremium von Menschen ohne Mangel" gut gebrauchen. Ich würde mal vorsichtig die Faustregel anstoßen, dass eine Regel zumindest dann nichts taugt, wenn ich sie nicht durchzusetzen kann, ohne das Kind zu verletzen - in unverzichtbaren Fällen eingeschränkt auf "nachhaltige" Verletzungen.
Das Problem von "Regeln" ist auch, dass damit selten eine Erklärung verbunden ist. Regeln sind wie Gesetze, sie drücken aus, was man (nicht) tun darf. Der Regeltext sieht keine Erklärung der Motivation vor, die dem Kind plausibel machen könnte, warum es diese Regel befolgen sollte. Dafür gibt es aber eine einfache, nahe liegende Lösung.
Calesca schrieb:Meiner Meinung nach muss der Mensch aber erstmal in der Lage sein, sich zu entwickeln. Dafür muss er aber erstmal wissen, wie die Norm ausschaut.
009-Greekmill schrieb:Normen sind mMn auch etwas Erforderliches, ansonsten gibt es keinen Richtwert, an denen man sich orientieren kann.Warum muss man die Norm kennen, um sich zu entwickeln? Der einzige Richtwert, den man im Umgang mit einem Kind braucht, ist das Kind selbst. Mir steckt da noch zu viel von der "Ich muss mein Kind doch auf das Leben vorbereiten"-Haltung drin. Aber ich interpretiere gerade auch ein wenig voraus. Belassen wir es bei der Frage.
Btw: So pervertiert ist unsere Gesellschaft auch nicht (mehr), dass ein "artgerecht" aufgewachsener Mensch damit überhaupt nicht kompatibel wäre. Das glaube ich nicht. Es hat sich schon viel getan. Körperliche Misshandlungen zu verbieten, geht in die richtige Richtung. Auch die Erkenntnis, dass der blaue Fleck gar nicht das Schlimmste ist und Schlagen nur ein Medium von vielen ist, um Kindern seelische Demütigungen zuzufügen, ist so langsam zumindest in den Köpfen von Pädagogen angekommen. Was aber noch fehlt, ist die Einsicht, dass die meisten Erwachsenen Kinder immer noch täglich demütigen - auch mit bester Absicht, da sie einfach ihre eigene Wunde verleugnen und getrieben sind.
Außerdem wird die Gesellschaft ihre Regeln anpassen, je größer der Anteil an Unverwundeten wird.
Calesca schrieb:Kinder brauchen Regeln, Punkt.Was du siehst, sind Kinder, die sich gegen Missachtung wehren. "Kinder, die nicht gequält werden, müssen uns nicht quälen."
Was passiert, wenn sie es nicht haben, sehe ich beinahe jeden Tag in meinem Büro. Und nur meine Erziehung hält mich davon ab, daraus einen hinterlistigen Mord zu machen.
Das einzige, was einen in letzter Instanz daran hindern kann, zu morden, sind nicht Erziehung oder Regeln, sondern Mitgefühl, von dem sich die meisten - häufig trotz Erziehung - einen letzten, entscheidenden Rest bewahrt haben. Im Gegenteil: Erziehung ist das beste Mittel, um aus Kindern perfekte Soldaten zu machen. Denn hinter einem Bedürfnis nach (autoritärer) Erziehung steckt ein Wunsch nach Gehorsam und dahinter eine Angst vor Ungehorsam - und letztlich eine Wunde.
Respekt kann man Kindern durch Regeln nicht "beibringen". Sie können das nicht einmal positiv beeinflussen. Gerade Regeln werden oft als Instrument der Missachtung verwendet. Ich packe nochmal das bekannte Zitat von Alice Miller aus:
Alice Miller schrieb:Wenn man einem Kind Moral predigt, lernt es Moral predigen, wenn man es warnt, lernt es warnen, wenn man mit ihm schimpft, lernt es schimpfen, wenn man es auslacht, lernt es auslachen, wenn man es demütigt, lernt es demütigen, wenn man seine Seele tötet, lernt es töten. Es hat dann nur die Wahl, ob sich selbst, oder die anderen oder beides.Genauso (und ich vermute, nur so) funktioniert es auch andersherum: Wenn man ein Kind liebt und mit Respekt behandelt, dann lernt es zu lieben und andere mit Respekt zu behandeln. Wenn man glaubt, beides getan zu haben, und es kommt trotzdem nix dabei raus, liegt der Fehler in der Annahme.
Insofern von mir ein klares Ja! zu Vorbildern. Ganz wichtig ist aber auch, dass Vorbilder authentisch sind. Der gute Wille reicht nicht. Ich bin mir sicher, das wisst ihr, will es aber trotzdem erwähnen.
"Ich will nicht, dass mein Kind anfängt zu rauchen, rauche aber selber, also mach ich das halt heimlich" -> keine Chance. Das heißt nicht, dass das Kind dann automatisch das Rauchen anfängt, sondern nur, dass es nichts mit dem "Vorbild" zu tun hat, wenn es es nicht tut. Es heißt ja auch Vorbild sein und nicht Vorbild tun. Daher läuft das auch ganz automatisch ab. Man ist immer Vorbild, mit seinen guten, wie mit seinen schlechten Eigenschaften. Und eben auch im Umgang mit seiner Wunde. Wie ich sagte: Man gibt den Mangel zwingend weiter, ob man will oder nicht. Die Folgen für das eigene Kind sind nicht vorhersehbar.
Zum Authentischsein fällt mir eine kleine Anekdote ein:
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Rabenaas schrieb:Die Norm ist ein anderes Wort für Mittelmaß. Wollen wir mittelmäßige Kinder?
Calesca schrieb:Und was bitte soll Norm = Mittelmaß heißen? Natürlich will ich das nichtWarum nicht? Was würdest du denken, wenn dein Kind dir eines Tages eröffnet, dass es gerne mittelmäßig wäre? Vielleicht fühlt es sich wohl im Mittelmaß, weil seine Interessen woanders liegen?
Fairerweise muss ich an der Stelle auch den Raben fragen, was er sich unter einem "mittelmäßigen Kind" überhaupt vorstellt?
Ich verwende "normal" übrigens wie in "Normalverteilung". "Normal" ist für mich die Mehrheit (plus Abweichungstoleranz) und sie bestimmt die "Norm". Als Synonym zu "ideal" müsste man eh noch klären, was denn ideal ist.
Alpha Zen schrieb:Nach meiner Interpretation von bones Beitrag wäre aber auch eine Ermutigung ("das schaffst du schon", "wenn es nicht klappt, ist es nicht schlimm") ein Eingriff in die Entwicklung des Kindes, weil man eine gewisse Erwartungshaltung an es hat und es damit unter Druck setzt.Wenn das Kind eine Erwartungshaltung auffasst, dann durchaus. Aber tut es das automatisch?
Die Frage ist halt auch, ob das Kind überhaupt will, was es da versucht. Wenn ja und es sich nur nicht traut, sollte man es natürlich ermutigen. Wenn das nicht reicht: Ursache suchen, Hindernisse identifizieren, Bedingungen verbessern. Fragen, was ihm helfen würde, was nach seiner Vorstellung anders sein müsste. Auch hier ist der Schlüssel das Einfühlungsvermögen des Erwachsenen.
Wenn das Kind das aber nicht will und man es trotzdem dazu ermutigt, weil man es nicht merkt, ist das natürlich schädlich. Dann geht es bei den Ermutigungen aber auch nicht mehr um das Interesse des Kindes, sondern um das des Erwachsenen. Dieser hat vielleicht in seiner eigenen Kindheit die Überzeugung verinnerlicht (bekommen), dass es eine gute/förderliche Erfahrung sei, wenn man sich mal durchbeißen muss, um etwas zu erreichen.
Das ist ein konkretes Beispiel dafür, welche Folgen es haben kann, wenn man mein, sein Kind "für das Leben abhärten" zu müssen. Wahrscheinlich bedeutete es damals schon eine Missachtung des eigentlichen Bedürfnisses des heute Erwachsenen, da es zum Verlust seiner Empathiefähigkeit geführt hat. Das Tragische ist, dass diese Fähigkeit ihm in der aktuellen Situation ermöglichen würde, zu sehen, dass es dem Kind, das er in bester Absicht ermutigt, genauso ergeht wie ihm selbst damals. Er würde dann merken, dass es überhaupt nicht will, wozu er es "zu seinem Besten" anspornt, und dass er in diesem Moment Gewalt ausübt. Aber da er nicht mehr weiß, wie sich diese Missachtung damals angefühlt hat, weil er diesen Aspekt seines Selbst abspalten musste, ist es ihm nicht möglich, die Situation des Kindes zu erkennen.
Alpha Zen schrieb:Außerdem, zur Vorbildfunktion: Was antwortet man einem Kind, wenn es einen fragt, warum man etwas tue? Mir fallen da nur zwei Sachen ein: 1. Weil ich denke, dass es richtig ist/weil ich es will (die Motivation muss von innen kommen -> anti-/unautoritär); 2. Weil es sich so gehört (die Motivation kommt von außen -> Norm, Regeln, verbiegen etc.).Das ist leicht. Die Antwort ergibt sich automatisch daraus, dass Vorbilder authentisch sein müssen: die Wahrheit. Dazu muss man sich diese Frage natürlich zuerst einmal selber stellen und ehrlich beantworten. Wenn man dann merkt, dass man eigentlich gar nicht weiß, warum man etwas tut, sollte man den Mut haben sich das einzugestehen und auch dem Kind zu sagen "eigentlich hast du Recht, das ist Quatsch". Diese Erfahrung kann nur gut sein für das Kind.
Great people care.