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Die Rache der Elfin
#6
Sechster Tagebucheintrag am Erdstag den 13. Travia

. . . Ein Geräusch weckte mich. So erholsam hatte ich schon lange nicht mehr geschlafen. Stiefel schnarrten über den Boden. Ich zuckte zusammen. Jeden Moment konnte der Streuner wieder auftauchen. Mit einemmal stieg Angst in mir hoch. Jetzt, da mir die Strähnen nicht mehr ins Gesicht hingen und ich die schmutzigen Lumpen ausgezogen hatte, besaß ich keine Anonymität mehr. Ich war verwundbar. Eisern bezwang ich den Wunsch, davonzulaufen. Ich warf noch einen Blick in den Spiegel, streckte die Schultern und hob entschlossen das Kinn. In meinen Adern floß Elfenblut. Ich musste mich nicht mehr verbergen. Ich konnte jedermann stolz gegenübertreten, auch diesem Streuner. Aragorn trat leise in das Zimmer. Dann, als er mich erblickte, trat er mit paar raschen Schritten neben mich. Er faßte mich mit starker Hand am Handgelenk, drehte mich und hielt mich dann mit gestreckten Armen von sich und betrachtete mich genau. Ein erstaunter Ausdruck huschte über seine Züge.
"Gewaschen sehen Sie recht hübsch aus" sagte er in einem Tonfall amüsierter Herablassung. Ich machte mich von ihm frei.
"Wer hätte aber auch ahnen können, was sich unter dem Schmutz von Monaten verbarg. Ja, Sie sind so hübsch, dass Boromir versöhnt sein wird" sagte er bestimmend.
Erbost über seine Haltung, fragte ich eisig: "Und es ist so wichtig, dass dieser Krieger versöhnt wird?"
Er grinste mich an, bis ich die Fäuste in die Hüften stemmte, um nicht auf ihn einzuschlagen.
Schließlich sagte er: "Aber lassen wir das jetzt. Wir müssen essen und ich benötige Ihre Dienste."
Als er meinen verwirrten Ausdruck bemerkte, drehte er sich um und deutete auf die Blutkruste an seiner linken Schulter.
"Ich kann doch verlangen, dass Sie die Wunde behandeln, die ich im Kampf um Ihre Sache erhielt."
Er zog das blutverkrustete Hemd aus. Ich wandte meine Aufmerksamkeit seiner muskulösen Schulter zu. Die Wunde war wieder aufgebrochen. Ein dünner Blutstreifen rieselte dem Streuner über den Rücken. Ich konzentrierte mich auf die Wunde. Es war ein häßlicher Schnitt. der sehr tief ging. Die Haut des Streuners fühlte sich glatt unter meinen Fingern an. Er zuckte nicht zusammen, als ich das getrocknete Blut aus der Wunde wusch und war wütend über mich selbst, dass ich ihn nicht mit der Grobheit behandelte, die ihm gebührte. Mit zusammengebissenen Zähnen strich ich ihm eine dicke Schicht Heilsalbe über den Schnitt. Dann riss ich ein paar Tücher in Streifen und befestigte damit den Verband. Aragorn bewegte vorsichtig den Arm. Als er sich umdrehte und mich ansah, waren seine Augen dunkel und nachdenklich.
"Sie sind sehr sanft mit mir umgegangen. Ich danke Ihnen, Arwen."
Es klopfte an der Tür. Er erhob sich mit einem ironischen Lächeln. Ohne mich aus den Augen zu lassen, nahm er ein Tablett mit Essen, an der Tür, von einer Magd entgegen. Ich warf mich wieder aufs Bett und wünschte ihm eine Reihe von schmerzhaften Verletzungen, die ich behandeln konnte. In Zukunft würde ich nicht mehr so zimperlich sein. Er stellte das Tablett zu mir aufs Bett. Ich entdeckte Fleisch, Brot und einen goldgelben Käse und sogar Winterobst. Aragorn saß einfach da und auch ich wagte nicht zu essen, obwohl mir das Wasser im Munde zusammen lief, als ich die reifen Früchte sah. Aragorn sah mit gerunzelter Stirn auf.
"Nach dem alten Brauch, bricht zuerst die Dame das Brot" sagte er und nickte mir höflich zu. Ich errötete. Ich war nicht mehr an die vornehmen Tischsitten gewöhnt. Während den letzten Monaten hatte ich mich mit Küchenabfällen begnügen müssen. Ich brach ein Stück Brot ab und ich konnte mich nicht erinnern, jemals zuvor etwas köstlicheres gegessen zu haben. Es war frisch gebacken. Ich nahm den Käse, den er mir anbot und genoß das volle Aroma. Kühner geworden, griff ich nach einer saftigen Frucht.
"So" begann der Streuner und legte mir die Hand auf den Arm.
Schuldbewußt legte ich die Frucht weg und starrte ihn an. Welchen Fehler hatte ich diesmal begangen? Er drückte mir lachend die Frucht in die Hand. Dann sprach er weiter. Ich knabberte an dem Leckerbissen und hörte ihm aufmerksam zu.
"Ich habe mit meiner Gruppe geredet und sie waren alle damit einverstanden, dass Ihr euch uns anschließt."
Die Frucht schmeckte mir nicht mehr und legte sie zurück in den Korb. Ich sah ihn zum erstenmal als Mensch und kam zu dem Schluss, dass seine Kühle Vorsicht war und nicht etwa ein Mangel an Gefühlen. Er zählte kaum mehr Planetenumläufe als ich. Dichtes schwarzes Haar kräuselte sich von seiner Stirn bis in den Nacken. Die buschigen dunklen Brauen zogen sich zu oft zu einem finsteren Grübeln zusammen. Über der geraden Nase standen scharfe Falten und die bernsteingoldnen Augen strahlten nur allzuleicht Zynismus oder kühlen Spott aus. Seine Lippen waren schmal und ebenmäßig geformt. Wenn er sich entspannte, wirkten sie beinahe sensibel. Aber weshalb musste er einen Mundwinkel ständig zu einem verächtlichen Lächeln herunterziehen? Er sah gut aus, dass musste ich mir eingestehen. Er hatte etwas magnetisches an sich und in diesem Augenblick war sein Gesichtsausdruck aufrichtig. Er meinte seine Worte ernst. Er wollte nicht, dass ich Angst hatte, es gab keinen Grund zur Angst. Ihm lag viel daran, dass ich mein Ziel erreichte. Der Streuner sah mich erwartungsvoll an.
"Unsere Hauptaufgabe?" fragte ich neugierig.
"Mehr davon später" erwiderte er und winkte ab, als ich weitere Fragen stellen wollte.
"Ich habe die Nacht lange Gespräche mit unseren Begleitern geführt und bin total geschafft und würde mich gerne etwas hinlegen."
Er stellte das Tablett auf den Tisch, zog sich nackt aus und kroch unter die dicke Decke und machte die Augen zu und schlief ein. Was für ein Mann, er war wirklich ein Traummann. Ich überlegte, was ich nun machen sollte. Mir fehlte schon lange die Nähe eines Mannes, also zog ich mir das neue Kleid aus und kroch zu ihm unter die Decke. Ich legte mich teilweise auf ihn und kuschelte mich fest an ihn. Er roch sehr herb und ich schloss meine Augen. Etwas Schlaf in seinen muskulösen Armen konnte ich noch gebrauchen. Ich küsste ihn auf die Brust und legte meinen Kopf an seine gesunde Schulter und schlief langsam ein . . .


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Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 07.10.2009, 09:41
RE: Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 08.10.2009, 00:58
RE: Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 10.10.2009, 00:04
RE: Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 11.10.2009, 00:30
RE: Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 12.10.2009, 07:10
RE: Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 13.10.2009, 22:08



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