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Die Rache der Elfin
#5
Fünfter Tagebucheintrag am Windstag den 12. Travia

. . . Lady Gemma wurde von heftigen Wehen geschüttelt und es ging ihr nicht gut. Als ich mich zurückziehen wollte, warf mir die Hebamme einen so flehenden Blick zu, dass ich zögernd blieb. Das Gesicht der schwangeren Frau war zu einer Grimasse verzerrt. Ihre Haut hatte einen grauen Ton angenommen. Sie war schweißgebadet und ihr Atem ging stoßweise.
"Das sieht nicht gut aus" flüsterte die Hebamme. "Sie blutet zu stark, sie werden beide sterben. Das ist zuviel Blut."
Zuviel Blut, dachte ich. Lady Gemma hatte mir nie etwas getan und das Kind kommt zu früh. Es würde sterben. Ich warf einen Blick auf das verzerrte Gesicht. Lady Gemma hatte sich die Unterlippe blutig gebissen. Jetzt stöhnt sie nicht. Warum musste sie es gestern im Saal tun? Zorn überkam mich. Diese Frau hatte aus irgendeinem Grund Rodiak und Haldir im entscheidenen Augenblick abgelenkt. Ich preßte Lady Gemma ´s Hände grob zusammen. Der Schmerz von dieser unerwarteten Seite riss Lady Gemma aus einer ihrer kurzen Ruhepausen. Sie wischte sich den Schweiß aus den Augen und warf mir einen verzweifelten Blick zu.
"Was habe ich dir getan?" keuchte sie.
"Getan? Ich hatte es fast geschafft, dass sich Rodiak mit einem der Edelmänner duellierte, als Sie zu stöhnen begannen."
Ich hatte alle Vorsicht vergessen. Aber es war gleichgültig. Die Frau würde nicht mehr lange leben. Lady Gemma ´s Augen weiteten sich.
"Aber Rodiak durfte den Elfen nicht töten. Wir haben so wenige edle Elfen. Wir brauchen sie alle."
Sie konnte nicht weitersprechen, weil sie von neuem von einer heftigen Wehe ergriffen wurde. Ihre schweren Fingerringe schnitten in meine Hände, als sie sich an mich klammerte.
"Was wollen Sie damit sagen?" flüsterte ich heiser.
Aber die Frau litt solche Schmerzen, dass sie kaum atmen konnte. Ihre Augen schienen aus den Höhlen zu treten und ich war von diesem Elend so erschüttert, dass ich instinktiv alles tat, um die Pein der Gebärenden zu lindern. Dennoch ließen mich die Worte der Totkranken nicht los. Die Frau hatte also nicht Rodiak, sondern den Elfen beschützt. Die Hebamme preßte ihre Hände gegen Lady Gemma ´s Leib und rief ihr nervöse Ratschläge zu. Aber Lady Gemma war so vom Schmerz überwältigt, dass sie nichts mehr hörte. Ein krampfhaftes Zucken durchlief ihren Körper. Sie bäumte sich auf. Als ich sie zu stützen versuchte, öffnete sie die Augen mit einem Ausdruck unendlicher Erleichterung. Dann brach sie in meinen Armen zusammen und rühte sich nicht mehr. Ich ließ Lady Gemma in die Kissen gleiten und sah erstaunt in das Gesicht der Toten. Ein triumphierendes Lächeln lag auf ihren Zügen. Ich hatte nun einen Ansatzpunkt, das Kind. Ich würde sagen, dass es lebte und das es ein Junge sei. Die Edelmänner würden kämpfen müssen, sie hatten den Eid geschworen. Ich eilte hinaus. Einen Moment blieb ich auf der Treppe stehen und holte tief Atem. Ich wartete, bis der Triumph von meinen Zügen gewichen war. Dann schlürfte ich mit gebeugten Schultern in den Saal.
"Lady Gemma ist von uns gegangen, aber das Kind lebt" rief ich mit hasserstickter Stimme. "Es ist ein Junge."
Rodiak sprang auf und starrte mich zornig an. "Was sagst du da Weib?"
"Das Kind lebt und es ist ein Junge" wiederholte ich und kam näher.
Wut verzerrte die Züge des Verwalters. Mit einem raschen Schritt war er bei mir und seine Faust traf mich ins Gesicht, bevor ich ausweichen konnte. Ich stürzte zu Boden und blieb reglos liegen.
"Halt Rodiak." Aragorn ´s Stimme zerriss das Schweigen, eben als mir Rodiak einen Tritt versetzen wollte. Rodiak wirbelte herum. Seine Hand umklammerte mechanisch sein Schwert.
"Wir haben Ihre Worte gehört und bezeugt, Rodiak" sagte Aragorn mit warnend ausgestreckter Hand. "Sie müssen zu Ihrem Eid stehen."
"Bezeugt? Edelmänner?" Rodiak lachte verächtlich. "Weiber seid ihr alle."
Er betrachtete die Männer mit spöttisch zusammengekniffenen Augen. Im nächsten Augenblick hatte Aragorn sein Schwert in der Hand. Selbst Rodiak staunte, mit welcher Schnelligkeit das geschehen war.
"Weiber?" fragte Aragorn gefährlich leise.
Er trat näher. Der Schein der Wandleuchten lag auf der blanken Klinge. Rodiak hatte ebenfalls sein Schwert gezogen. Er duckte sich zum Angriff. Alle anwesenden Männer rückten die Tische zur Seite, um mehr Platz für die Kämpfenden zu schaffen. Aragorn konnte sich jetzt nicht um mich kümmern und hoffte, dass ich bei dem Sturz nicht ernstlich verletzt worden war. Er sprang zur Seite, als Rodiak sich mit einem mächtigen Sprung auf ihn werfen wollte. Aragorn parierte den Angriff mit Leichtigkeit, aber er wußte, dass er vorsichtig sein musste. Rodiak brachte mehr Gewicht in den Kampf mit. Aragorn musste sich auf seine Beweglichkeit verlassen. Mit Kraft richtete er gegen Rodiak kaum etwas aus. Rodiak ging zu einem Täuschungsmanöver über. Er bemühte sich, Schwächen bei seinem Gegner zu entdecken. Die beiden standen einander geduckt gegenüber und belauerten sich. Wieder griff Rodiak an. Aragorn ließ ihn nahe heran kommen, so nahe, dass er gerade noch mit der Rückhand parieren konnte. Seine Schwertspitze schlitzte den Ärmel des Verwalters auf. Rodiak fauchte wütend. Der Mann war schneller, als sein Gewicht vermuten ließ und Aragorn musste ein zweites Mal parieren. Diesmal ging die feindliche Klinge nur knapp an seiner Lederrüstung vorbei. Mit finsteren Mienen umkreisten die beiden einander. Jeder suchte nach einem Deckungsfehler des Gegners. Rodiak bemühte sich, den leichteren, schnelleren Streuner in Richtung Wand zu manövrieren, wo er nicht mehr ausweichen konnte. Aragorn tauchte unter den wild rudernden Armen von Rodiak hinweg. Der Verwalter hielt ihn fest und preßte ihn gegen sich. Aragorn versuchte sich verzweifelt aus der Umklammerung zu lösen und mit der Linken den bewaffneten Arm des Gegners nach oben zu drücken. Plötzlich schnellte sein Knie hoch. Gleichzeitig ließ er sich zu Boden fallen. Rodiak krümmte sich vor Schmerzen und Aragorn gelang es freizukommen. Allerdings verriet ihm ein stechender Schmerz in der linken Schulter, dass er getroffen war. Rodiak war rot angelaufen. Sein Atem ging rasch und hart. Aber Aragorn fand keine Zeit, seinen knappen Vorteil auszunutzen, denn sein Gegner sprang wutentbrannt auf und griff an. Aragorn brachte mit einem Satz einen Tisch zwischen sich und Rodiak. Er behielt den Verwalter ständig im Auge, während er seine Schulter abtastete. Offenbar hatte ihn die Klinge nur gestreift. Er konnte den Arm bewegen. Plötzlich packte Rodiak ein paar Knochen, die auf dem Tisch lagen und schleuderte sie zu Aragorn hinüber. Der Streuner wich instinktiv aus und im nächsten Moment hatte Rodiak das Hindernis übersprungen. Aragorn trat blitzschnell zur Seite und das Schwert verfehlte ihn um Millimeter. Sein eigenes Schwert fuhr tief in den Oberarm des Verwalters. Rodiak schwankte und der Streuner trat einen Schritt näher. Aber er hatte den Feind unterschätzt. Der Verwalter versetzte ihm einen wuchtigen Schlag gegen die Rippen, so dass er zu Boden stürzte. Aragorn rollte sich zur Seite, als er sah, dass Rodiak sich mit dem Schwert auf ihn werfen wollte. Irgendwie kam er wieder auf die Beine. Rodiak schoss über sein Ziel hinaus und verlor das Gleichgewicht. Mit aller Kraft stieß der Streuner zu. Sein Schwert drang tief in den Körper des Gegners. Rodiak fiel auf die Steinplatten und rührte sich nicht mehr. Er starrte auf den Toten. Es hatte ihm keinerlei Vergnügen bereitet, den Mann umzubringen. Er war nur erleichtert, dass er selbst noch lebte. Seine Rippen schmerzten und seine linke Schulter brannte. Er stolperte zu mir hinüber. Ich lag immernoch reglos am Boden. Vorsichtig drehte er mich herum. Ein häßlicher blauer Fleck machte sich auf meiner Wange breit. Verschwommen nahm ich wahr, dass Boromir im Saal das Kommando übernommen hatte. Aragorn tastete mit zitternden Fingern nach meinem Herzen. Es schlug langsam, aber kräftig. Ein tiefer Seufzer entrang sich seinen Lippen. Der Schlag hätte ebenso tödlich sein können, wie der Sturz selbst. Die Erleichterung mischte sich mit Ekel. Ich strotzte nur so vor Schmutz, so dass man unmöglich sagen konnte, wie alt ich war. Aragorn hob mich auf und trug mich zu seinem Zimmer. Er wußte, dass Boromir die Situation beherrschte. Im Zimmer angelangt, legte er mich auf sein Bett und machte Licht. Vorsichtig schob er meine verfilzten Haarsträhnen zur Seite. Er drehte mein Gesicht hin und her. Ich hatte schmale, regelmäßige Züge. Auf meinen bloßen Armen zeichneten sich blaue Flecke und Narben ab, aber meine Haut war jung und faltenlos. Er hatte selten so feingliedrige Hände gesehen. Aragorn lächelte und konnte sein Glück noch nicht fassen. Er beugte sich über mich, um mir die schmutzigen Lumpen vom Körper zu streifen, doch dann zögerte er. Ich war zu mir gekommen und sah ihn aus großen, hungrigen Augen an. Ich zeigte keine Furcht, lediglich Argwohn.
"Möchten Sie einen Streuner täuschen, Mädchen?" fragte Aragorn.
Er lehnte sich gegen den geschnitzten Bettpfosten. Erst jetzt merkte er, wie sehr seine Schulter schmerzte.
"Wie heißen Sie, Mädchen?" fragte er neugierig.
Ich setzte mich langsam auf. Ruhig stützte ich mich ab und musterte ihn.
"Rodiak?" fragte ich.
"Tot, wie heißen Sie?" fragte er nochmal.
Ein triumphierendes Leuchten huschte über mein Gesicht. Ich ließ mich aus dem Bett gleiten und richtete mich hoch auf.
"Ich heiße Arwen und Sie haben einen Mörder meiner Familie gerichtet" erklärte ich mit fester Stimme. "Und dafür danke ich Ihnen."
Aragorn betrachtete mich einen Augenblick, begeistert von meiner stolzen Haltung.
"Was wird nun aus dem Kind?" fragte er mich.
Meine Augen blitzten und ich lächelte hart.
"Es gibt kein Kind. Lady Gemma starb, bevor das Kind geboren wurde. Ich habe gelogen."
"Gelogen?" fuhr Aragorn auf.
"Ja" erwiderte ich höhnisch und warf den Kopf hoch.
"Ich habe gelogen. Das Kind war noch nicht geboren. Ich wollte lediglich sichergehen, dass einer von euch Rodiak zu einem Duell herausfordert."
Er packte mich hart am Handgelenk, verärgert, dass er auf mich hereingefallen war.
"Sie haben mich zum Töten gezwungen" sagte er ungläubig.
"Sie haben Mut, Arwen. Wollen Sie sich uns anschließen und mit uns reisen? Oder tragen Sie lieber Lumpen?" fragte er spöttisch.
"Gefallen Ihnen das verfilzte Haar und die rauhe Haut ihrer Hände? Schlafen Sie gerne im Stroh? Sie sind jung, zumindest nehme ich das an."
Er gab seiner Stimme einen skeptischen Klang. Ich betrachtete ihn kühl. Meine Lippen waren zusammen gepreßt.
"Wenn ihr mir helft, die restlichen Mörder meiner Familie zu rächen, dann wäre ich gewillt, mit euch zu reisen."
Ich hatte mich aus seinem Griff gelößt und meine Augen blitzten.
"Dann willkommen in unserer Gemeinschaft, ich werde die anderen informieren" sagte Aragorn. "Sie können also zuerst baden."
Er beugte sich über eine Truhe und wühlte ein paar saubere Kleider hervor. Er schob mir die Kleider und einen Beutel mit Waschkleie zu und deutete auf den Vorhang, der den Baderaum vom Schlafgemach abtrennte. Dann drehte er sich um und ging hinaus. Ich hob die Kleider und den Beutel mit der Waschkleie auf und ging weiter in den Baderaum. Er war nicht groß, genügte aber vollkommen für seinen Zweck. Ein breiter Felsvorsprung bildete eine Art Stufe in das kreisförmige Badebecken. An einer Seite standen eine Bank und ein paar Regale mit Handtücher. Endlich. Ich atmete befreit auf. Mit spitzen Fingern streifte ich die Lumpen vom Leib und schob sie mit dem Fuß zur Seite. Dann bestieg ich das Badebecken und verrieb eine handvoll Kleie zu einem Brei. Ich scheuerte meine Arme und das blaugeschlagene Gesicht sauber. Dann schrubbte ich meinen Körper, bis halb vernarbte Wunden wieder zu bluten begannen. Dann tauchte ich unter und nahm noch mehr Kleie und verrieb sie im nassen Haar. Immer wieder spülte ich die Strähnen, bis ich das Gefühl hatte, dass sie einigermaßen sauber waren. Noch einmal bearbeitete ich meinen Körper mit Kleie. Es war eine geradezu rituelle Waschung. Meine Haut brannte und prickelte. Schließlich verließ ich zögernd das Badebecken. Ich steckte das triefende Haar hoch und trocknete mich mit einem frischen Handtuch ab. Dann streifte ich ein zartgrünes Kleid aus weichem Stoff über. Es war zu locker, aber ich schnürte es mit Hilfe einer Schärpe eng um die Taille. Ein Lächeln glitt über meine Züge. Ich nahm ein neues Handtuch und rieb mein Haar trocken. Ich suchte in den Regalen, bis ich einen groben Metalkamm fand. Damit zerrte und riss ich an den Strähnen, bis sie endlich entwirrt waren. Mein Haar war lang, sehr viel länger, als ich geglaubt hatte. Dann schob ich den Vorhang zur Seite und betrat wieder das Schlafgemach. Ich war von den Erlebnissen der letzten Tage so erschöpft, dass ich mich aufs Bett legte und auch sofort in einen erholsamen ruhigen Schlaf fiel . . .


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Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 07.10.2009, 09:41
RE: Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 08.10.2009, 00:58
RE: Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 10.10.2009, 00:04
RE: Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 11.10.2009, 00:30
RE: Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 12.10.2009, 07:10
RE: Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 13.10.2009, 22:08



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