(09.04.2010, 20:55)Zurgrimm schrieb: Das hat nichts mit Trägheit zu tun. Das ist in einer repräsentativen Demokratie immer so. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus, wird aber nicht vom Ganzen Volke ausgeübt. Das Volk legitimiert seine "Vertretung" durch Wahl alle paar Jahre (auf Bundesebene bei uns halt 4, das ist aber natürlich nicht zwingned). Dazwischen, also innerhalb der Legislaturperiode, kann dann auch gegen das Volk entschieden werden. Wenn es dem Volk nicht gefällt, kann es bei der nächsten Wahl dann ja anders entscheiden. Das ist im Grundsatz auch nötig, sonst könnten unpopuläre, aber notwenige Maßnahmen (und ja, die gibt es ), nie durchgebracht werden. Hätte es eine Volksabstimmung über die Euro-Einführung gegeben, wäre er abgelehnt worden. Heute wollen aber die wenigsten wieder zur nationalen Währung zurück... gerade diejenigen nicht, die auch mal innerhalb Europas reisen oder aus dem EU-Auslaund einkaufen.Jetzt musst du nur noch den Part erläutern, inwiefern die Einführung des Euros als Beispiel für eine notwendige Maßnahme steht.
Ich habe kürzlich gelernt, dass auch viele soziale Reformen aus den 70ern (als das Ding den Namen noch verdiente) zuerst unpopulär waren, widerspreche dir also nicht. Aber trotzdem lenkt der Einwand ein wenig von der Brisanz des konkreten Falles ab: Krieg ist - auch wenn es sich nur um "umgangssprachlichen" handelt (selten so einen Unsinn gehört) - selten populär und niemals notwendig.
Ich finde es auch legitim, wenn man man von einer Trägheit spricht. Vielleicht war mit "träge" genau das gemeint, von dem auch du sprichst und hier stehen nur unterschiedliche Namen für das gleiche Ding nebeneinander? Wenn man den Zeitraum zwischen zwei Wahlen betrachtet, kann man auch von einer Handlungsunfähigkeit des Volkes sprechen. Letztlich zählt hier das, was es bedeutet: Das Volk kann nichts dagegen tun. Oder geht es hier doch um mehr als um unterschiedliche Formulierungen? Hat sich nach Rabenaas' Erklärung dann wohl erledigt.
Zurgrimm schrieb:Ständige Plebiszite in jeder Einzelfrage sorgen zwar dafür, daß nichts oder wenig gegen Volkes momentanen Willen geschieht, zeitigen aber andere Nebenwirkungen und können Reformen (bei denen es immer Verlierer gibt, v.a. kurzfristig gedacht) durchaus zum Nachteil des Staatsganzen behindern.Ich bin auch hier (wie bei so vielem) der Meinung, dass das keineswegs eine absolute Notwendigkeit darstellt. Wenn eine Regierung (oder wer auch immer) die Bevölkerung unabhängig und neutral informiert und ihre Befürchtungen und Bedürfnisse ernst nimmt, also ihr Vertrauen gewinnt und es vor allem nicht missbraucht (ich weiß, das sind wieder viele ganz, ganz unrealistische Annahmen ), dann muss es doch möglich sein, den Leuten "klarzumachen", dass wir langfristig alle besser leben, wenn wir etwas auf eine bestimmte Weise machen. (Wobei man genau das im Wortsinne eigentlich nicht tun darf: es ihnen "klar machen" - man muss sie aufklären. Tja, die Spitzfindigkeiten der deutschen Sprache... )
Das klappt bei Einzelnen, warum also nicht auch bei allen? Zumal es ja nur um eine Mehrheit geht. Es ist wohl etwas schwieriger und mühseliger, aber machbar sollte das doch sein.
Wie gesagt, alles was ich behaupte ist: Wenn eine Entscheidung sich tatsächlich längerfristig zum Wohle des Volkes auswirkt und sich also lohnt, ist es prinzipiell möglich und machbar, die Menschen so aufzuklären, dass sie den Sinn dieser Entscheidung einsehen und ihr zustimmen. Und umgekehrt, die Kontraposition: Stimmen die Menschen nach ausführlicher Aufklärung nicht zu, ist die Entscheidung Müll.
Und jeder, der behauptet, dass das nicht möglich ist, hält die Leute letztendlich für dümmer als die "Elite" an der Spitze und darf somit meinen Beitrag weiter oben auch gerne auf sich beziehen - oder erklärt mir den Unterschied...
Aber vielleicht scheitere ich hier auch mal wieder an meiner impliziten Voraussetzung einer "gesunden Gesellschaft". Vielleicht sollten wir vorher Lesekreise bilden und alle gemeinsam Alice Miller lesen...
Heute jedenfalls geschieht so etwas wie eine Aufklärung bei den "Entscheidungen gegen das Volk" natürlich nicht, höchstens in Form von "Meinungsmache". Das liegt aber meines Erachtens nicht daran, dass meine Vermutung widerlegt wäre, sondern eher das Gegenteil: Bei der Art von Entscheidungen ist es gar nicht möglich, dass das Volk sie unterstützt, wenn es aufgeklärt ist. Weil sie eben Müll sind.
Great people care.