26.02.2009, 07:43
(26.02.2009, 02:02)Wolverine schrieb: Dito zu oben, die Idee ist gescheitert, am Menschen. Und damit war die Idee eben nicht gut, auch wenn sie gut gemeint war und gut geklungen hat. Ich wäre Dir allerdings dankbar, wenn Du mir kurz erläutern würdest, was Du unter Idee, Modell und System genau verstehst, denn dahinter versteht jeder was anderes.Da kann ich dich beruhigen(?), ich habe nichts davon gelesen.
Wer heute Marx liest, sollte zumindest auch A.Smith und J.M.Keynes lesen, dann hat man ein paar gegensätzliche Meinungen und kann vergleichen.
Ein einziges Pamphlet kann dazu führen, dass man komplett darauf abgeht, und die Schwächen der jeweiligen Überzeugung übersieht.
Idee, Modell und System... Mmmh... so ganz klar ist mir das selber noch nicht, ich verwende diese Begriffe mehr intuitiv. Daher sollte ich wirklich mal eine Erklärung abgeben. Hier also "on the fly" ein Versuch. Eines kann ich dir dabei schon im Voraus versichern: Es wird nicht kurz.
Fangen wir nicht ganz so kompliziert an:
Das Modell gießt die Idee in eine Form. Wenn das Modell gut ist, bleibt die Idee möglichst unverfälscht. Da das 100%ig (fast?) nie möglich ist, ist das Modell auch für Kompromisse zuständig, darf sich dabei aber nicht zu weit von der Idee entfernen und muss insbesondere gewisse Grundregeln einhalten. Mit dem Modell werden also auch die Details geklärt. Gleichzeitig wird die Idee auf ihre Praxistauglichkeit geprüft: Findet man kein Modell, dass die Idee "rein" genug wiedergibt, sollte man es bleiben lassen ("Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit"). Meistens entwickeln sich aus einer Idee gleich mehrere Modelle, die dann miteinander konkurrieren.
Beispiel für ein Modell: Die hier diskutierte mögliche Umsetzung des Grundeinkommens in Kombination mit einer (echten) Reform des Steuersystems (Konsumsteuer); basierend auf der von Götz Werner und Benediktus Hardorp entwickelten und vorgestellten Grundversion (da ich nicht garantieren kann, dass es noch unverändert ist, allein schon durch etwaige Missverständnisse meinerseits).
Das System setzt das präferierte Modell um und hat mit der Idee direkt nichts mehr zu tun. Es konzentriert sich auf das Modell und legt Richtlinien und Kontrollen dafür fest, damit es eingehalten wird und möglichst reibungslos funktioniert. Das System "denkt" dabei nicht mehr wirklich mit (was es vielleicht sollte?), ist in sich starr und unveränderlich, gleichzeitig aber anfällig für Manipulation (in jeglicher Hinsicht; nicht nur böswillige). Das System stellt sich insbesondere nicht selbst in Frage, und hat eingebaute Funktionen, die ihm erlauben, sich selbst zu erhalten und gegen Bedrohungen zu verteidigen. Manchmal vergisst es dabei, dass es eigentlich für die Menschen, die darin leben, gemacht wurde. Es entwickelt eine Art Eigenleben. Das kann so weit gehen, dass sich das System sogar gegen seine "Schutzbefohlenen" wendet...
Ein System nimmt oft den Namen der Idee oder des Modells an. Daher ist besonders auf die korrekte Unterscheidung zu achten.
Ein Beispiel für ein System, das aus der Idee des Grundeinkommens hervorginge, kann ich nicht bieten; es gibt ja noch keinen Systementwurf (worum ich auch sehr froh bin). Ein anderes wäre wohl der bereits erwähnte "Real Existierende Sozialismus".
Die Idee ist... das, was einem einfällt. Am Anfang steht zumeist die Einsicht, dass "etwas nicht stimmt", in der Regel am derzeitigen System (bei den ganz fixen Köpfen reicht auch schon eine Ahnung). Der "Ideen-Mensch" beginnt darüber nachzudenken, was genau nicht stimmt und wie man es eventuell besser machen könnte. Dieses Besser-machen ist zunächst auch nur eine vage Ahnung, entwickelt sich dann aber recht schnell zu einer konkreten Idee. Das Schwierigste am Ideen-Haben ist damit aber noch nicht getan: das Verstehen derselben. Sich vorzustellen: Was wäre wenn. Im ganzen Ausmaß. Das macht bei Ideen-Menschen fast ausschließlich die Intuition (was auch sonst; man hat ja keine Erfahrungen, auf denen man aufbauen könnte). Und dazu benötigt man vor allem sehr viel Zeit.
Sowohl positive als auch negative Aspekte müssen beachtet werden. Wenn die Idee der kritischen Hinterfragung des Verstandes, in dem sie heranwachsen durfte, standhält, wird sie als gut befunden. Dann dürfen andere von der Idee erfahren. Der Denkprozess ist damit aber noch lange nicht abgeschlossen. Das ist er nie - der Ideen-Mensch lebt mit dem Zweifel. Das Feedback, das er von anderen erhält, wird gesammelt und in die weitere Gestaltung der Idee miteinbezogen. Irgendwann, wenn die Idee "reif" ist - oder sagen wir, wenn der Ideen-Mensch damit zufrieden ist - wird sie in Modellen auf ihre Praxistauglichkeit geprüft. Oft entwirft der Ideen-Mensch auch selber das erste Modell (aus Angst um die Reinheit der Idee).
Ein Beispiel ist natürlich das Grundeinkommen, das mit den vier durch das Netzwerk Grundeinkommen definierten Hauptkriterien bereits ein sehr fortgeschrittenes Reifestadium erreicht hat. Das sieht man auch daran, dass es sich in zahlreichen Diskussionen behaupten kann, in denen es teilweise ganz schön im Kreuzfeuer steht. Man sagt dann, eine anfangs sehr verletzliche Idee sei "erwachsen geworden". Ist die Idee schlecht, wird sie nicht selten in der Luft zerrissen.
Diese drei Dinge kann man messerscharf voneinander trennen (sagt mir meine Intuition auf den ersten Blick ). Außerdem bilden sie einen Kreislauf: Wenn ein System nicht (mehr) funktioniert, weil es sich immer weiter vom Modell und somit auch der Idee entfernt, und es infolge dessen immer stärker kritisiert und in Frage gestellt wird, kommen irgendwann neue Ideen-Menschen mit einer (nicht zwangsweise) neuen Idee. Und so geht es wieder von vorne los: Sobald das Modell steht und bereit zur Umsetzung ist, wird das bestehende System abgerissen und ein neues hochgezogen, das fortan die neue Idee "betreut" (das wäre das optimale System aus Sicht eines Ideen-Menschen) bzw. das Modell "durchsetzt".
Ein System kann sich aus vielen Gründen von der Idee entfernen. Ich finde aber, man kann nicht einfach sagen, dass die Idee schlecht war (die am allerwenigsten, wenn sie es so weit geschafft hat; sobald die ersten Modelle ernsthaft diskutiert werden, ist eigentlich schon klar, dass die Idee gut ist). Es kann sein, dass es daran liegt, dass das Modell bei der Umsetzung der Idee schon zu stark verwässert war. Oder (was wahrscheinlicher ist), dass beim Einsetzen des Systems irgendjemand Mist gebaut hat, später zu viel daran herumgeflickt oder es sogar böswillig manipuliert wird. So scheint am Anfang alles gut, läuft dann aber unweigerlich aus den Fugen.
Es kann aber auch sein, dass ein System nicht mehr zeitgemäß ist. Auch in diesem Fall war die Idee zu ihrem Zeitpunkt ("Nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeitpunkt gekommen ist") mit Sicherheit gut, sonst hätte sie es nicht so weit geschafft. Aber auch eine Idee unterliegt einem gewissen Verschleiß, um es bildlich auszudrücken, und ist irgendwann nicht mehr gut genug/angemessen. Und hierzu zähle ich unsere derzeitigen Sozialsysteme und auch die Einkommenssteuer, die Götz Werner oft als "Steuer der Selbstversorgung" bezeichnet. (Und in absehbarer Zeit auch die Parteiendemokratie, aber das ist jetzt wirklich ein ganz anderes Thema... )
Um auf deine Aussage zurückzukommen: Ich sehe die Idee also nicht am Menschen generell gescheitert, sondern am System. Was auch keine pauschalen Rückschlüsse auf die Qualität der Idee erlaubt. Allgemein könnte es insbesondere auch daran liegen, dass das einfach der Lauf der Dinge ist...
Ich bin ein Ideen-Mensch, das wirst du vielleicht schon gemerkt haben. Wenn es an die Kompromisse geht, tut mir das fast schon weh. Je besser in meinen Augen die Idee, umso mehr natürlich. Deshalb favorisiere ich das Modell von Götz Werner, weil es meiner Meinung nach die wenigsten Kompromisse schließt und die wichtigsten Elemente der Idee so belässt, wie sie sein sollen. (Götz Werner selbst ist auch eindeutig ein Ideen-Mensch und hat das Modell möglicherweise deshalb erfunden, weil ihm alle anderen auch zu viele Kompromisse schließen.) Kompromisse sind immer Gefahr für die Ideen, weil sie ja schon zu den Modellen führen. Deshalb - ich wiederhole mich - ist es wichtig (und für Ideen-Menschen ganz besonders), dass alle, die am Modell mitwirken, die Idee durch und durch verstanden haben. Und alle, die am System mitwirken, müssen das Modell durch und durch verstanden haben (die Idee natürlich am besten auch!). Deshalb sollte man auch immer auf die Minderheiten der Ideen-Menschen hören: Wenn die sagen, dass das Modell im Kern nicht mehr dem entspricht, was sie eigentlich wollten, sollte man es sofort wegwerfen.
Ich weiß natürlich, dass es ohne Kompromisse nicht geht, und akzeptiere das auch. Ideen-Menschen wirken oft naiv, dabei bestehen sie nur darauf, dass ihre Idee verstanden wird. Dann, so glauben sie, kann bei der Umsetzung nicht mehr sooo viel schief gehen. In der Tat kann auch ich mir vorstellen, dass zum Beispiel der Sozialismus nur deshalb gescheitert ist, weil die Idee nicht richtig verstanden wurde (ohne die Idee wirklich zu kennen; da braucht jetzt auch niemand eine Diskussion drüber anzufangen, denn ich habe schlicht keine Ahnung ). Das Verstehen einer Idee sollte man nicht unterschätzen! Je revolutionärer (also andersartiger) die Idee, umso länger dauert das. Wenn jemand ein neues Handy erfindet, braucht es vielleicht nur ein paar Tage, bis man die Vorzüge erkannt hat. Bei einem neuen Gesellschaftsentwurf würde ich unter "Jahre" gar nicht anfangen. (Diese Zeitangaben sind übrigens aus meiner Sicht geschätzt, also der eines Ideen-Menschen. Und die brauchen immer etwas länger, weil sie eben wissen, dass man die Idee komplett durchdringen muss, wenn man sie wirklich verstehen will. - das kann auch ein passives Wissen sein; sie fühlen sich dann einfach nicht so, als hätten sie sie verstanden, bis sie sie verstanden haben.)
Genauso gibt es natürlich auch Modell- und System-Menschen. Ich schätze dich zum Beispiel als einen solchen oder eine Mischung davon ein. (Mmmh... Schubladendenken. )
Aber mach dir nix drauß. Wir haben alle unsere Daseinsberechtigung... Ideen-Menschen könnten ohne die anderen nicht existieren. Und umgekehrt auch nicht.
Dass der Begriff des Systems negative und der der Idee positive Konnotation haben, ist kein Zufall. Ersteres kennst du ja selbst. Bei Ideen-Menschen liegt das allgemein daran, dass Systeme die Idee meist zerstören; auch wenn das letztenendes vielleicht unvermeidbar ist, damit eine neue, zeitgemäßere und somit dann bessere Idee kommen kann.
So. Fertig für's erste. Zu komplex? Sorry, du hast ja unbedingt fragen müssen...
Und wie gesagt, diese Erklärung war "on the fly". Ich kann dir jetzt nicht mal sagen, ob ich die Begriffe immer genau so verwendet habe, wie ich sie hier definiere. Auch das gehört zur Intuition (also dass man nie so genau weiß, was man macht )...
Great people care.