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Unterwegs mit Zwergen
#67
Unterwegs mit Zwergen #65
(Versatzstücke)

Gegen Nachmittag erreichten sie die Herberge Golfblick, das ihnen bereits bekannte gut geführte Haus auf den Dünen über dem Golf von Prem. Althea und Curian waren auf dem Weg nicht Seite an Seite gegangen und auch hier gingen sie sich aus dem Weg. Althea konnte die vorzügliche Küche nicht genießen und knabberte nur abwesen am Essen, Curian zog sich uncharakteristischer Weise früh zurück aufs Zimmer. Nicht so die Zwerge, die ausgelassen aßen und becherten, was die Küche hergab...

Der nächste Tag antlang der Küstenstraße verlief geschwind, Vaermhag war nur ein Zwischenstopp - eine Übernachtung in der Herberge hinter Tempel, dann der Weg weiter nach Süden.

Den nächsten Tag rasteten sie wieder an der Stelle, an der der Forst an die Küste heranreichte, den Zwergen war inzwischen die Stille zwischen ALthea und Curian aufgefallen, die beide jeweils in ihre Gedanken versunken dahinschritten, und so brummelten sie nur leise in Rogolan, während sie das Nachtlager bereiteten.

Am Abend des nächsten Tages erreichten sie Thorwal, schritten durch das Nordtor, und blickten die Straße am Fuß der Klippe entlang...

──────────────────────────────────

…die vertrauten Geräusche der Stadt empfingen sie wie ein fernes Echo aus einem anderen Leben.
Rufe, das Klirren von Hämmern, das Knarren von Wagenachsen, das entfernte Tosen der Brandung unter den Klippen. Thorwal – so vertraut, und doch schien alles leicht verschoben, als sei die Stadt dieselbe, aber die, die sie betraten, andere geworden.

Furka war der Erste, der sich löste, die Arme weit ausbreitend:
„Bei Ingerimm – endlich wieder Zivilisation!“
Keldi schnaubte trocken. „Zivilisation? In Thorwal?“
„Aye,“ grinste Furka, „wo das Bier fließt und die Böden nicht wanken.“

Sie folgten der gepflasterten Straße bis zur Weggabelung. Zur Rechten der Hafen, geschäftig und laut, zur Linken der Aufstieg zum Großen Markt, wo die Dächer dicht beieinanderstanden und bunte Banner im Wind flatterten.

„Schwert und Zauberei,“ sagte Curian schließlich, ohne aufzusehen.
Althea nickte nur. „Ein erstklassiges Haus, direkt am Markt“, hatte er gesagt, und diesmal widersprach keiner.

Der Weg führte sie durch die lebendigsten Viertel der Stadt. Zwischen den Marktständen roch es nach geräuchertem Fisch, Pech und Teer, frischem Brot, Wein und Pferdeschweiß. Die Zwerge stapften in fester Formation, die Beutel klirrend vom Gold und von der Beute der letzten Wochen.

Am Platz vor dem Hotel hielt die Gruppe kurz inne. Die Sonne stand schräg über den Dächern, tauchte die Fassaden in kupfernes Licht. „Schwert und Zauberei“ – dunkles Fachwerk, blank polierte Messingbeschläge, rote Fensterläden, die in der Abendsonne glühten.

Ein Bote nahm ihnen das Gepäck ab, und der Duft von Holzfeuer und gebratenem Fleisch schlug ihnen entgegen, als sie die Halle betraten. Stimmen, Musik, das Schimmern von Kristallgläsern.

Für einen Moment sah Althea zu Curian hinüber. Er wirkte gefasst, höflich, beinahe zu ruhig.
„Ich bestehe auf getrennten Zimmern,“ sagte er sachlich, fast mechanisch, und der Satz schnitt leise durch die vertraute Stimmung.

„Natürlich,“ erwiderte Althea mit einem kaum hörbaren Lächeln.

Und als Althea und Curian sich im Eingangsbereich trennten, drehte er sich kurz um, den Hut in der Hand.
„Iss was. Schlaf. Thorwal hat Zeit.“

Dann ging er die Treppe hinauf, und Althea blieb einen Augenblick stehen, das Stimmengewirr hinter sich, das Abendlicht vor sich – und dieses leise Gefühl, dass etwas sich endgültig zu verschieben begann.

21. Rondra – Thorwal

Der Morgen begann mit dem Schlagen der Schiffsglocken im Hafen und dem fernen Brummen der Werftkräne. Nebel hing noch über den Dächern, als sie das "Schwert und Zauberei“ verließen – einer nach dem anderen, mit verschiedenen Zielen, aber demselben Gefühl: der Arbeit eines Tages nachzugehen, um nicht denken zu müssen.

Althea, Furka und Keldi machten sich zuerst auf. Die Sonne stieg langsam höher, und der Wind trug den salzigen Geruch des Hafens hinauf in die Marktgassen. Vor der Nordlandbank stand eine kurze Schlange; Althea trat hinzu, den schweren Beutel in den Händen. Das Gespräch mit dem Schreiber war sachlich, aber sie spürte, wie gut es tat, Ordnung zu schaffen – 1.200 Dukaten, sicher verwahrt, ein Symbol der Kontrolle in einer Welt, die zunehmend unberechenbar wurde.

Keldi stand schweigend hinter ihr, musterte die Wände mit den goldenen Tafeln der Handelshäuser. Furka dagegen grinste breit, als sie wieder hinaustraten. "Man fühlt sich gleich größer, wenn man weiß, dass irgendwo Geld liegt.“
Althea lächelte nur schwach.

Am Travia-Tempel gaben sie den überzähligen Reiseproviant ab. Der Platz davor war erfüllt von Stimmen, der Geruch nach frischem Brot und heißem Eintopf lag in der Luft. Die Tempelvorsteherin segnete die Bündel, und Althea spürte einen Moment lang Frieden – den leisen Trost von Wärme, Gemeinschaft, Routine.

Danach führte ihr Weg zum Handelsagenten Einauge – einem Mann mit scharfem Blick, aber ehrlicher Zunge. Als Althea wieder zu ihnen trat, war ihr Blick geheimnisvoll.

Währenddessen hatten Tondar und Hurdin am Zeughaus ihr Glück versucht – und waren mit unbeweglichen Gesichtern abgewiesen worden. Kein Empfehlungsschreiben, kein Zutritt.
"Formulare…“, brummte Hurdin, als sie später an den Marktständen am Hafen standen.
Tondar, stoisch wie immer, prüfte die Bolzen, zahlte wortlos, und beide gingen mit vollen Köchern davon.

So fanden sich alle am Nachmittag zufällig am selben Ort wieder – am Rand des Marktes, wo der Weg zum Travia-Tempel zurückführte. Furka lachte, als er sie sah. "Na, wenigstens haben sie euch nicht eingesperrt!“
Hurdin hob nur eine Braue. "Bolzen tun’s auch ohne Empfehlung.“

Sie gingen gemeinsam zum "Schwert und Zauberei“ zurück. Die Sonne stand bereits tief über der Stadt, und die Straßen begannen, sich zu leeren.

Am Abend füllte sich die Gaststube mit Stimmen und Musik, doch an ihrem Tisch blieb es still. Die Zwerge waren schnell in Gespräche verwickelt – Händler, alte Bekannte, Geschichten von Reisen und Kämpfen. Nur Althea und Curian saßen etwas abseits.

Sie hatte gewartet, bis die Teller leer und die Krüge halbvoll waren. Dann lehnte sie sich vor, die Hände ineinander verschränkt.
"Curian… du weißt, dass das keine Torheit ist. Was dort auf Hjalland geschieht, kann nicht bleiben.“

Er sah sie lange an, ohne Antwort. Dann trank er, langsam, setzte den Becher ab und sprach ruhig, fast müde:
"Althea, du siehst Sinn, wo ich Gefahr sehe. Ich habe Dinge gesehen, die sich nicht bekämpfen lassen, ohne dass sie etwas von dir mitnehmen. Und ich bin zu alt, noch einmal etwas zu verlieren.“

Sie hielt seinem Blick stand. "Dann überlass es denen, die es noch wagen.“

Ein Schatten huschte über sein Gesicht – nicht Ärger, eher Traurigkeit. "Vielleicht ist das genau der Fehler. Dass wir immer glauben, Mut wäre genug.“

Sie wollte etwas erwidern, aber die Worte kamen nicht. Zwischen ihnen blieb nur das Flackern der Kerze, das an den Rändern seiner Augen den Glanz nahm.

Er erhob sich schließlich, verbeugte sich leicht. "Ich wünschte, ich hätte deinen Glauben, Althea. Wirklich.“
Dann ging er, leise, wie jemand, der schon zu oft Abschiede gesprochen hat.

Althea blieb noch eine Weile sitzen, sah in den Wein, der sich im Glas spiegelte wie ein trüber Sonnenuntergang.
Im Nebenzimmer lachten die Zwerge laut, und sie lächelte schwach – aber ohne Freude.


Am Tag danach begibt Althea sich hinüber zum Tsa Tempel, wie immer, wenn sie nachdenken muss. Sie sitzt in der Halle des Tempels ihrer Geburtsgöttin, durch regenbogenfarbene Fensterschlitze unter der Decke fällt buntes Sonnenlicht und zeichnet Muster auf den Marmor des Hallenbodens. Hinter einer Säulenreihe erstreckt sich ein kleiner innerer Garten, ebenfalls umgeben durch einen Rundgang marmorner Säulen. Im Garten gibt es einen kleinen Teich, in dem sich die der Tsa heiligen Eidechsen tummeln. Althea sitzt, nachdem sie gespendet hat, auf einer kleinen marmornen Bank innerhalb der Halle in stummem Gebet und begibt sich später hinaus in den Garten, wo sie sich niederlässt und versonnen auf den Eidechsenteich blickt. Die Geweihten realisieren wieder einmal den zeitlosen Ausdruck auf Altheas Gesicht und sehen, dass hier eine sitzt, die im Zeichen ihrer Göttin geboren ist...

22. Rondra – Der Tempel der Tsa

Der Morgen begann klar, kühl, mit einem leichten Dunst über den Dächern Thorwals. Als Althea die Treppen zum Tsa-Tempel hinaufstieg, war die Stadt noch halb im Schlaf. Nur das ferne Klatschen von Wellen und das Rufen einzelner Händler hallte über die Plätze.

Der Tempel selbst lag in einem kleinen ummauerten Bezirk oberhalb des Marktes – ein Bau aus hellem Stein, schlicht und doch von einer stillen Schönheit. Über dem Portal rankte Wein, noch feucht vom Tau.

Im Inneren herrschte jene Art von Stille, die nicht leer, sondern gefüllt war – mit Atem, mit Licht, mit Zeit. Das Dach war hoch, und durch schmale, farbige Fenster über den Säulen fiel das Sonnenlicht in feinen Bahnen herab. Es brach sich an Marmor und Wasser, tanzte über Boden und Wände, warf Regenbögen auf die Gewänder der wenigen Gläubigen, die dort saßen oder standen.

Althea trat lautlos ein. Sie hatte die Hände vor der Brust gefaltet, den Kopf leicht gesenkt. Sie roch den zarten Duft von Myrte und Honigblumen, hörte das leise Plätschern des Wassers, das in den inneren Garten führte. Eine junge Geweihte in hellgrünem Schleier trat kurz auf sie zu, nickte und nahm die Spende entgegen, ohne Worte.

Dann war Althea allein.

Sie setzte sich auf eine der marmornen Bänke am Rand der Halle. Der Stein war kühl unter ihren Fingern, aber angenehm, geerdet. Über ihr flackerte ein Schmetterling, der sich durch eines der hohen Fenster verirrt hatte. Er schwebte über ihren Kopf hinweg, fand den Weg wieder hinaus.

Lange saß sie da, still, ohne zu beten. Ihre Gedanken zogen wie Wellen – kamen, brachen, flossen wieder ab. Bilder tauchten auf: das Meer bei Hjalland, die Höhle mit den Spinnen, Curians Gesicht im Licht der Kerze. Keine Worte, nur Empfindungen.

Als die Sonne weiterstieg, stand sie auf und ging in den inneren Garten.

Dort war das Licht milder, von den Säulen gefiltert. Ein kleiner Teich lag in der Mitte, über dessen Wasser sich das Blau des Himmels spiegelte. Darin tummelten sich Eidechsen in allen Farben – smaragdgrün, gold, bernsteinfarben. Einige ruhten auf den warmen Steinen, andere glitten durchs Wasser, fast lautlos.

Althea setzte sich auf die niedrige Mauer des Beckens, legte den Stab neben sich. Der Wind trug den Duft von Gras und Stein, und irgendwo sang ein Vogel.

Sie beugte sich leicht vor, sah in das Wasser, und das Wasser sah zurück – ihr Gesicht, von Licht und Schatten gebrochen.

Eine ältere Geweihte trat an den Säulen entlang, blieb kurz stehen. Sie sah Althea, sagte nichts. Nur ein Lächeln, ein leises Nicken. In diesem Gesicht, in dieser Ruhe, erkannte sie etwas, das nicht gelernt werden konnte – den stillen Segen ihrer Göttin.

So verging Zeit – eine Stunde, vielleicht zwei. Die Schatten der Säulen wanderten über den Boden, das Licht änderte sich, wurde goldener.

Althea bewegte sich kaum. Ihre Hände ruhten auf den Knien, die Schultern entspannt, die Augen halb geschlossen. Kein Gebet, keine Bitte, nur Dasein.

Und wer sie in diesem Moment sah, hätte vielleicht geglaubt, sie höre etwas, das jenseits des Lärms der Welt lag – ein stilles, unsichtbares Lied, das nur jene kennen, die im Zeichen der Erneuerung geboren sind.

Später, als sie den Tempel verließ, hatte sie nichts entschieden und doch alles.
Ihr Schritt war ruhig, der Blick klar. Die Antwort würde kommen – in ihrer Zeit.

──────────────────────────────────

Thorwal im Hochsommer hatte einen eigenen Klang. Kein Lärm, kein Chaos – eher dieses gedämpfte, allgegenwärtige Grollen der Stadt, das vom Hafen herüberzog: Stimmen, Hämmer, Möwen, Wind.

Im „Schwert und Zauberei“ war alles ein bisschen zu fein für Zwerge – geölte Holztische, blanke Kupferkrüge, das Personal mit weißen Schürzen. Doch sie hatten sich daran gewöhnt. Eine Woche. Sieben Tage aus schimmerndem Leerlauf, aus Warten, aus Schweigen, das nicht bedrückte, aber an Gewicht gewann.

23. Rondra
Der erste Tag war der Übergang. Die Gruppe verteilte sich: Curian verschwand nach dem Frühstück Richtung Akademie, Archon in den Schatten des Hofes, die Zwerge in die Stadt.
Am Abend saßen sie beieinander, redeten kaum. Nur das leise Klirren von Furkas Würfeln auf dem Tisch – und Altheas nachdenklicher Blick, als sie ihm die Hand auf die Schulter legte.
„Heute nicht, mein Freund.“ – „Ein Wurf nur…“ – „Kein Wurf heute.“
Er grinste, aber sie meinte es ernst.

24. Rondra
Der Tag gehörte dem Silber.
Althea hatte den Tisch in ihrem Zimmer mit Leinentuch und Notizen bedeckt, Runen ausgeleuchtet, Schimmer und Rückfluss geprüft.
Furka kam vorbei, schob sich an den Türrahmen, kaute an einem Apfel.
„Wenn du mich so anschaust, will ich fast glauben, du redest mit dem Schmuck.“
„Tu ich auch. Nur antwortet er nicht.“
Er lachte, sie lächelte – und als der Abend fiel, lag der erste der Artefakte vor ihr, gereinigt, verstanden, still.
Unten im Gastraum allerdings mischte Furka Karten – und gewann. Zu oft.
Am nächsten Morgen war Althea hellhörig, als sie vom Personal hörte, man habe „den kleinen mit dem Bart“ rauskomplimentiert.

25. Rondra
Sie arbeitete weiter, vertieft in das Totenkopfamulett – spürte diese seltsame Schwere darin, als hinge in dem Silber der Schatten der alten Herberge.
Furka dagegen zog mit Hurdin los – „nur mal schauen“.
Abends kehrten sie lachend zurück, der eine leicht angeschlagen, der andere stolz, keinen Stuhl verloren zu haben.
„Ich hab nur geguckt!“ – „Ja, und die anderen haben gesehen, dass du zu gut guckst.“

26. Rondra
Der Tag brachte das Kurzschwert.
Ein Werk von Zyklopen vielleicht – oder älter.
Keldi stand daneben, als sie die Runen nachzog. „Das ist kein Menschenstahl.“
„Nein,“ sagte sie, „das ist etwas, das auch dich führen würde.“
Er nickte – und nahm es schweigend entgegen.
Abends war Furka wieder fort, diesmal mit Tondar. „Nur ein Bier.“
Vier Würfe später stand er draußen im Nieselregen, lachte und hustete zugleich.

27. Rondra
Der Silberstreitkolben lag auf dem Tisch, wie ein Mahnmal. Archon half ihr, die Signaturen zu entziffern, redete wenig, notierte viel.
Im Hof unterhielten sich Keldi und Furka über den Unterschied zwischen Glück und Können. Es war ein kurzer Disput.
„Wenn du noch einmal Glück sagst, stopf ich dir die Würfel in den Bart.“
„Dann rasseln sie wenigstens schön.“

28. Rondra
Die Sichel – golden, zart, gefährlich.
Althea ließ sie im Licht schimmern, während Archon sie prüfend wog. „Für Kräuter,“ sagte er. „Und vielleicht für mehr.“
Ein Moment Einverständnis, still und wissend.
Unten im „Drachenschiff“ war es weniger still. Furka, umringt, zu laut, zu siegreich. Bis die Stimmung kippte.
Keldi griff ihn, bevor Hände zu Fäusten wurden, und schleppte ihn hinaus.
„Ich hab doch nur…“ – „Ich weiß. Jetzt halt die Klappe.“

29. Rondra
Die Stadt atmete schwer an diesem Tag. Ein grauer Morgen über dem Meer, Möwenrufe, der Geruch von Salz und Metall.
Curian war kaum mehr zu sehen, die Zwerge ruhten aus, selbst Furka wirkte leiser.
Althea aber hatte ihre Entscheidung längst getroffen.
Nach dem Frühstück legte sie das silberne Amulett, die gereinigten Artefakte, ihre Notizen sorgfältig zusammen, stand auf und sagte nur:
„Ich geh hinüber.“
Keldi nickte, verstand sofort.
Und so verließ sie das „Schwert und Zauberei“ – den Wind im Haar, den Blick nach Osten, dorthin, wo die Halle der Beilunker Reiter stand.

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Der Morgen des 6. Efferd war kühl und still. Nebelschleier hingen über dem Hafenbecken, und der Wind trug den Geruch von Salz, Teer und frisch entladenem Holz über die Stadt. Thorwal atmete leiser an diesem Tag, als wüsste es, dass zwei Wege sich gleich trennen würden.

Althea und Curian gingen nebeneinander her, schweigend. Kein Streit, kein Groll – nur dieses unausgesprochene Wissen, dass sie denselben Weg gingen, aber nicht dasselbe Ziel hatten.
Das „Schwert und Zauberei“ lag schon hinter ihnen, der Platz davor langsam erwachend: Marktschreier, das Schlagen von Kisten, ein paar Kinder, die Möwen nachliefen.

Vor dem Travia-Tempel blieb Althea kurz stehen. Das Licht fiel schräg auf die Steinstufen, und die Priesterin, die draußen Körbe mit Brot segnete, nickte ihr freundlich zu.
„Kommst du noch mal wieder?“, fragte sie, und Althea antwortete leise: „Immer.“
Curian wartete, den Stab locker in der Hand. Sie holte ihn ein, und sie gingen weiter über eine der hölzernen Brücken, die in sanftem Rhythmus unter ihren Schritten knarrte. Unter ihnen glitt das Wasser träge dahin, und irgendwo klapperte ein Mastseil.

Im Kontorviertel roch es nach Öl, Papier und altem Geld. Händler öffneten ihre Läden, schoben schwere Rollläden hoch, und aus einer Seitengasse klang das Schlagen eines Hammers. Althea sah, wie Curians Blick sich veränderte – dieser Zug von Nachdenklichkeit, den sie kannte, wenn er innerlich schon Abschied nahm.

„Ich habe es mir nicht leicht gemacht,“ sagte er schließlich, als sie den Schatten der Felsen erreichten.
„Ich weiß,“ erwiderte sie. Ihre Stimme war ruhig, aber ihr Blick blieb nach vorn gerichtet.
„Die Akademie… sie hat mich eingeladen. Hellsicht, Forschung, ein paar Aufzeichnungen aus dem Süden, die sie kaum verstehen. Ich könnte helfen. Und ehrlich gesagt – ich glaube, ich kann dir dort nützlicher sein als auf Hjalland.“

Ein Möwenschrei durchschnitt die Luft.
„Du willst helfen, indem du bleibst,“ sagte sie, fast mehr zu sich als zu ihm.
Er nickte. „Ich habe zu viele Tempel gesehen, Althea. Zu viele, die wir niederbrennen wollten – und zu viele, in denen etwas von uns mitverbrannt ist.“

Der Pfad bog in die Straße am Fuß der Klippe, wo der Wind stärker wurde. Hier klangen die Schritte hohl, und das Meer rauschte nahe. Die Mauern der Stadt lagen hinter ihnen, das Nordtor voraus. Auf halber Höhe, zwischen den dunklen Basaltwänden, erhob sich die Akademie der Hellsicht – keine Zitadelle, sondern ein ruhiger, schmaler Bau aus hellem Stein, mit schmalen Fenstern und Kupferdächern, die in der Morgensonne glimmten.

„Du gehörst hierher,“ sagte Althea schließlich. „Du suchst Wissen. Ich… suche Antworten.“
Curian sah sie an, zum ersten Mal an diesem Morgen wirklich. „Das ist dasselbe, wenn man Glück hat.“

Sie standen vor den Toren, als ein Lehrling in grauer Robe erschien, leicht verlegen, und Curians Namen nannte. Der Magier nickte, drehte sich noch einmal zu ihr um.
„Ich habe selten jemanden getroffen, der den Dingen mehr auf den Grund sieht als du. Nur – du siehst mit dem Herzen, ich mit dem Verstand. Ich hoffe, einer von uns irrt sich – und dass es du bist.“

Sie lächelte matt. „Ich hoffe, keiner von uns hat recht.“

Dann trat er durch das Tor, der Lehrling an seiner Seite.
Althea blieb stehen, bis die Schritte verklangen und das Tor sich leise hinter ihm schloss. Ein Windstoß fuhr durch ihren Mantel, brachte eine Strähne ihres Haares zum Tanzen. Sie sah zum Meer hinunter, wo sich Licht auf der Wasserfläche brach, und atmete tief ein.

Als sie sich schließlich abwandte, lag die Stadt unter ihr, golden im Morgenlicht, und irgendwo unten, am Platz der großen Märkte, wartete schon das „Vier Winde“. Dort, ahnte sie, würde sie am Abend jemand treffen, der an sie glaubte – so wie sie an das, was kommen musste.


Der Wirt blickte auf, als Althea eintrat. Der Abendwind, der durch die offene Tür strich, trug den Geruch des Hafens herein — Salz, Pech und das ferne Rufen der Möwen. Die Sonne stand tief, der Himmel war in Rot und Gold getaucht, und das Licht fiel gebrochen durch die bleiverglasten Scheiben des „Vier Winde“.

„Habt ihr Nachricht für mich?“ fragte Althea, zum wiederholten Mal in dieser Woche, und ihre Stimme war ruhig, aber das Zittern darin verriet Hoffnung.

Der Wirt öffnete gerade den Mund, als das leise Klirren von Metall den Raum füllte. Althea drehte den Kopf — und blieb stehen.

Auf der Treppe stand Ardora. Das Licht der sinkenden Sonne schien hinter ihr herein, legte einen Glanz auf das Kettenhemd, das sie trug. In der Rechten ruhte locker die Hand auf dem Knauf des Schwertes von Runin — das alte, schmale, runenverzierte Klingenstück, das Althea aus dem schwarzen Schiff kannte. Das Licht schimmerte über den Metallflächen, und der Ausdruck auf Ardoras Gesicht war derselbe wie damals, als sie in der Dunkelheit des Totenschiffes Seite an Seite gekämpft hatten: konzentriert, unbeirrbar, und doch — als sie Althea sah — weich um die Augen.

Ein Lächeln, knapp, aber warm.

„Ich hatte gehofft, dich hier zu finden,“ sagte Ardora, und ihre Stimme war wie eh und je — fest, von jener Klarheit, die man nur in Menschen findet, die schon zu oft gegen die Nacht gestanden haben.


Sie setzten sich in eine Ecke des Schankraums. Der Wein war kräftig, rot wie Blut und schwer vom Geschmack südländischer Trauben. Eine Stunde verging, doch die Zeit schien sich dehnen.

Ardora berichtete zuerst — von Prem, vom Totenschiff, von den Spuren, die sich im Westen verloren. Von den Boten der Inquisition, die die dunklen Zirkel wieder aufgespürt hatten, und von den Schatten, die selbst die Namenlosen Tage überdauert hatten.

Dann erzählte Althea. Von Hjalland, vom Auftrag des Hetmanns, von den verstreuten Kartenteilen. Von Eliane Windenbek und ihrem Handel — und von Curian, der in Thorwal geblieben war.

Ardora hörte still zu, nur manchmal ein Nicken, ein leises „Verstehe.“ Als Althea geendet hatte, stand für einen Moment nichts zwischen ihnen als der Atem der Kerze.

„Ein Tempel des Namenlosen also,“ sagte Ardora leise, und strich mit dem Daumen über den Rand ihres Bechers. „Dann ist es gut, dass ich hier bin.“

„Du weißt, was das bedeutet.“

„Ja.“
Ein schlichtes Wort, und doch trug es Gewicht. „Aber du weißt auch, dass ich nicht zögere.“


Sie verließen den „Vier Winde“, als die Dämmerung Thorwal bereits in Blau getaucht hatte. Am Hafen loderten Feuer in Fässern, die Segel der Schiffe waren wie dunkle Schattenrippen gegen das letzte Licht des Westens. Der Wind trug den Geruch von Teer und Salz, und die Planken ächzten leise unter den Schritten der Matrosen.

Ardora und Althea gingen nebeneinander her. Kein Wort fiel. Nur einmal drehte sich Ardora leicht und sah sie an.

„Du hast dich verändert,“ sagte sie.
Althea sah sie an, verstand. „Wir alle.“


Im „Schwert und Zauberei“ war das Licht gedämpft, aber der Lärm umso lauter. Als die Tür aufging, brandete sofort ein Ruf auf:

„Bei Ingerimm! Wer kommt denn da?“ rief Furka, der schon auf halber Bank stand, und Keldi schlug mit der Faust auf den Tisch.

Ardora lächelte kaum merklich, zog den Umhang zurück, das Schwert blitzte.
„Na, wenn das kein Besuch ist, der die Zechordnung durcheinanderbringt,“ brummte Hurdin.

Die Zwerge rückten zusammen, machten Platz. Ein Krug erschien, noch einer, Stimmen wurden leiser. Der Tisch am Rand des Raumes wurde geräumt, Pergamente, Beutel und Karten lagen bald darauf ausgebreitet.

Es folgte die sachliche, fast militärische Ordnung, die vor einem Aufbruch entsteht:

Keldi überprüfte das neue Kurzschwert — zog es halb, prüfte die Balance, nickte zufrieden.
Hurdin zählte Bolzen, einer nach dem anderen, in stoischer Ruhe: „Vierzig… zweiundvierzig… sechsundvierzig. Kann nie genug haben.“
Archon befestigte die goldene Sichel an seiner Seite, als wäre sie ein Symbol, nicht nur ein Werkzeug, und steckte die Dolche an ihre Plätze — jeder wie eine gedachte Antwort auf eine mögliche Frage.
Tondar, wortlos wie immer, hatte in seinen Bündeln Schmuck und den silbernen Streitkolben verborgen. Altheas Blick traf ihn kurz — kein Tadel, kein Urteil. Nur Verständnis. Er nickte, sie nickte zurück.

Furka hielt die beiden goldenen Praiosamulette zwischen den Fingern, funkelnd im Licht der Kerzen.
„Meine Talismane des Glücks,“ murmelte er, halb im Scherz.

„Nicht diesmal,“ sagte Althea ruhig, trat zu ihm, öffnete die Hand und nahm sie ihm ab. Furka protestierte halbherzig, aber der Ton in ihrer Stimme ließ ihn innehalten. Sie wandte sich zu Ardora.

„Als Zeichen.“

Ardora nahm die beiden goldenen Anhänger, ließ sie in ihre Handfläche gleiten.
„Dann geh’ ich nicht mit leeren Händen in die Dunkelheit,“ sagte sie, und schloss die Finger darum.

Ein Moment der Stille. Nur das Knistern der Kerze.

Dann stand Ardora auf, legte die Hand auf das Schwert.
„Ihr habt eine Aufgabe. Ich geh mit euch — bis sie erfüllt ist.“

Und keiner widersprach.
Nicht einmal Furka.

In dieser Nacht war Thorwal still. Nur draußen, hinter den Fenstern, rauschte das Meer.
Und über dem „Schwert und Zauberei“ stand der Mond — groß, kalt und weiß — als wachte er über jene, die sich wieder einmal aufmachten, gegen das Dunkel.
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Unterwegs mit Zwergen - von Althea - 02.04.2025, 09:17
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