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Unterwegs mit Zwergen
#65
Unterwegs mit Zwergen #63
(Versatzstücke)

Der Weg nach Daspota war kaum ein Weg zu nennen – eher ein schmaler Tritt, der sich an der rauen Küstenlinie entlangwand. Dort, wo die Hügel der Hjaldorberge hart ins Meer fielen, war der Pfad nicht mehr als eine Spur, ausgetreten von jenen wenigen, die töricht oder verzweifelt genug waren, diesen Abschnitt zu wagen.

Das Meer zur Rechten lag bleiern und dunkel, von weißen Schaumkämmen gezeichnet, die an die Felsen schlugen. Zur Linken erhoben sich graue Steilhänge, von kargem Gestrüpp und verkrüppelten Kiefern bedeckt, deren Äste im salzigen Wind knarrten.

Die Zwerge stapften stumm und mit eingezogenen Köpfen, jeder Schritt auf losem Geröll ein kleines Ringen um Halt. Nur Keldi brummte ab und zu Flüche über Thorwaler Pfade, die eher für Möwen denn für Menschen und Zwerge gemacht schienen.

Althea ging weiter hinten, den Stab fest als Wanderhilfe nutzend, während sie den Blick immer wieder über die aufgewühlte See schweifen ließ. Neben ihr hielt Archon die Augen auf den Boden gerichtet, aufmerksam jeden Stein, jeden Riss im Fels musternd, als erwarte er, dass aus den Schatten etwas hervorkrieche.

Der Wind nahm gegen Mittag zu, trieb Gischt die Felswände hinauf und ließ die Kapuzen klatschen. An manchen Stellen war der Pfad so schmal, dass sie sich seitlich drehen mussten, um nicht ins Leere zu treten.

„Daspota…“ murmelte Tondar zwischen den Zähnen, als sie in einer windstilleren Senke rasteten. „Kein Wunder, dass keiner her will. Selbst die Götter meiden diesen Winkel.“
Althea erwiderte nichts, sie ließ nur den Blick zum Westen schweifen, wo hinter den Hügelkämmen schon die Schatten dunkler Wolken aufzogen.

Die verlassene Herberge wirkte wie ein Relikt aus einer anderen Zeit – ein Versuch, die ungezähmte Küste zwischen Ottarje und Daspota zu zivilisieren, der längst gescheitert war. Das Dach hielt noch, wenn auch schief, und die Mauern standen stabil, aber die fehlenden Türen und die leeren Fensterhöhlen gähnten wie tote Augen in der Fassade.

Die Gruppe zog sich in den Gastraum zurück. Der große Kamin war leer, nur Asche vergangener Feuer klebte grau in den Ritzen. In den Ecken hatte sich altes Laub gesammelt, das im Windhauch raschelte, der durch die Öffnungen strich.

„Mutig… oder töricht,“ brummte Keldi, als er seinen Packsack absetzte und prüfend mit dem Stiefel gegen einen der morschen Tische trat.

Hurdin stand mitten im Raum, den Kopf in den Nacken gelegt, die Stirn in Falten. Seine Augen folgten den dunklen Linien der Deckenbalken, die zwar noch hielten, aber feucht und schwammig wirkten. „Ich trau der Sache nicht,“ knurrte er, „zu viel Last, zu wenig Halt.“

Während die anderen ihre Lagerstätten aufschlugen, verschwanden Curian und Archon erneut, diesmal entlang eines schmalen, moosbewachsenen Trampelpfades, der sich von der Rückseite der Herberge durch das Buschwerk zog. In einer feuchten Senke fanden sie reichlich Kräuter – Schilfknollen, die gegen Fieber helfen konnten, und dunkle Moospolster, die Archon prüfend zwischen den Fingern rieb.

Als sie zurückkehrten, war das Feuer im Kamin bereits entfacht, das Knacken von Holz mischte sich mit dem Heulen des Windes draußen. Furka hatte sich breitbeinig auf einen der Bänke gesetzt, das Kinn auf die Faust gestützt, und musterte die grauen Mauern. „Eine Nacht wird’s schon halten,“ meinte er, und stieß die Funken mit dem Schürhaken auf.

Doch während sie sich ums Feuer scharten, blieb das Gefühl, dass die Mauern mehr sahen, als sie preisgaben – Erinnerungen an Reisende, die diesen Ort gewählt hatten… und vielleicht nicht alle weitergezogen waren.

Die Dunkelheit hatte das verlassene Gemäuer ganz umschlungen, nur das matte Flackern des Feuers im Kamin warf zuckende Schatten an die Wände. Archon und Curian traten ein, die Umhänge feucht vom Tau, die Hände voller gesammelter Kräuter. Der Wind rüttelte draußen an den offenen Fensterhöhlen, ließ das lose Gebälk knarren.

Die anderen lagen schon ausgestreckt auf Decken und Mänteln:

Furka schnarchte leise, den Arm um sein Gepäck geschlungen.

Keldi hatte sich an die Wand gerollt, eine Hand noch am Griff seiner neuen Skraja.

Tondar war halbwach, die Augenlider schwer, aber sein Kopf schnellte kurz hoch, als die beiden zurückkehrten, ehe er wieder wegdämmerte.

Hurdin saß noch immer am Rand des Feuers, das Kinn auf den Händen, und sah in die Glut, als wolle er sie bewachen.

Althea hatte sich in eine Ecke des Raumes zurückgezogen, aufrecht sitzend, das Haar im Feuerschein golden schimmernd. Sie blinzelte schläfrig, als Archon und Curian die gesammelten Kräuter neben ihre Tasche legten. „Genug für morgen,“ murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu den anderen.

Archon breitete sein Bündel neben Hurdin aus, sortierte stumm einige Blätter und Wurzeln, ehe er sich schwer auf die Decke sinken ließ. Curian schob seine Tasche unter den Kopf, zog den Umhang fester um die Schultern und legte sich nahe an die Wand.

Das Feuer knisterte, draußen heulte der Wind über die Küste, und irgendwo in der Ferne schrie ein Seevogel, einsam in der Nacht. Die Gruppe fiel einer nach dem anderen in den Schlaf – doch die Stille der Herberge blieb schwanger mit etwas Unsichtbarem, als atmete das alte Gemäuer selbst.

... ... ...

Die Tür der verfallenen Herberge schlug dumpf hinter ihnen ins Schloss, als die Gruppe hinaus ins Licht trat. Einen Moment hielten alle inne – als ob ihre Körper nicht recht glauben wollten, dass die stickige Schwärze, das modrige Atmen der Kellergewölbe, das Schaben der untoten Kreaturen wirklich hinter ihnen lag.

Vor ihnen lag der kleine, offene Platz: grob gepflastert, an den Rändern schon von Gras überwuchert. Die Sonne stand hoch, das Licht schien so grell und rein, dass es fast in den Augen brannte. Althea blinzelte und spürte, wie sich die Wärme der Mittagsstrahlen in ihre Haut legte. Irgendwo weit vorn, jenseits der Kante, wo das Land abrupt in die See fiel, schlugen die Wellen dumpf gegen die Küste. Die Luft war frisch, beinahe süß, durchzogen vom Salzgeruch des Meeres und dem harzigen Atem der Bäume.

Sie gingen weiter, fast taumelnd wie nach einem langen Fiebertraum, und suchten sich einen Platz unter den ausladenden Kronen der Bäume. Das Rascheln des Laubs über ihnen wirkte unwirklich friedlich. Keldi warf einen langen Blick zurück – die schwarzen Fensterhöhlen des Hauses starrten leer ins Sonnenlicht, doch er sah darin noch die Schatten. Sein Griff lag fest um den Axtstiel.

Hurdin breitete die Säcke aus, die sie mitgeschleppt hatten, und begann schweigend die Funde durchzusehen. Roben, Phiolen, Pergamente – so fremd und so kostbar, dass sie kaum wie Beute wirkten, sondern eher wie Mahnmale. Furka, der sich im Sonnenlicht niedergelassen hatte, hielt eine der Phiolen gegen das Licht, und das Gift darin glitzerte wie flüssiges Smaragdgrün. Seine Augen blitzten, doch er schwieg. Tondar setzte sich ein Stück abseits, prüfte sorgfältig die gespannte Sehne seiner Armbrust, ließ die Bolzen durch die Finger gleiten und zählte sie zweimal.

Archon und Curian hatten ein Bündel Pergamente auf dem Schoß. Der Heiler, die Stirn in Falten, legte mit spitzen Fingern die Blätter auseinander, während Curian mit einem genervten Lächeln und einem ironischen Kommentar über „grob hingeschmierte Symbolik“ die Schriftzeichen entzifferte. Doch beide hielten sich länger daran auf, als sie zugeben wollten.

Althea hatte sich an einen Baumstamm gelehnt. Sie hielt den Stab lose über den Knien, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Einen Moment lang erlaubte sie sich, die Augen zu schließen. Ihre Brust hob und senkte sich ruhig, aber das Zittern in ihren Fingern verriet die Erschöpfung. Sie ließ die Sonne durch das dunkle Tuch scheinen und spürte, wie das Licht die Schatten in ihr verdrängte.

Es war Curian, der schließlich seine letzte Flasche Wein hervorzog, als wollte er die Stille brechen. Das Rot im Kelch wirkte wie ein Gegenstück zu dem grünen Schimmer der Phiolen. Sie aßen von dem Karene-Fleisch, das am Vorabend erlegt worden war, das Aroma von Rauch und Wild mischte sich mit dem süßen Wein. Der Alltag kehrte zurück, beinahe.

Nach und nach wurden die Stimmen leiser. Einer nach dem anderen streckte sich im Schatten der Bäume aus, das Schwert oder den Stab noch in Reichweite. Das Sonnenlicht spielte über ihre Gesichter, die nun weicher wurden, weniger gezeichnet von den Schrecken der Tiefe.

Nur Keldi blieb stehen. Breitbeinig, die Axt in der Hand, die Augen unverwandt auf die dunklen Fenster des Hauses gerichtet. Das Licht lag golden auf den Mauern – und doch konnte er den Eindruck nicht abschütteln, dass die Schatten darin immer noch atmeten.

Er blieb dort, schweigend, während hinter ihm seine Gefährten im Schlummer versanken. Und für einen langen Moment war das Einzige, was die Stille durchbrach, das ferne, rhythmische Tosen der Wellen, die unaufhörlich gegen die Küste brandeten.
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