05.10.2025, 08:57
Unterwegs mit Zwergen #50
(Versatzstücke)
Nach Tjanset ist Overthorn eine Offenbarung. Einer der größten Häfen am Golf, an der'Spitze des Golfes', liegt Oberthorn auf einer hohen Klippe, nur über See erreichbar, aber einer der wichtigsten Haltepunkte für Schiffe, die weiter in den Norden Thorwals unterwegs sind. Vom großen Hafen aus, am Fuß der Klippe gelegen, windet sich ein steiler Weg im Zickzack die Felswand empor, auf beiden Seiten von Lagerhäusern, Kontoren und Wohnhäusern gesäumt. Das Plateau erreicht, befindet man sich im Hauptteil des Ortes. Lange Häuserzeilen, die dem Rand der Klippe folgen und ein paar weitere Häuser, die den Hang hinauf gebaut sind. Von hier aus genießt man einen hervorragenden Blick hinunter zum Hafen, auf die schimmernden Wellen und über das Wasser des Golfes. Nach Nordwesten am Horizont ist die Insel Manrek zu erahnen.
Dieser Ort schläft nie. Geschäftigkeit am Hafen. Reger Verkehr den Weg die Klippe hinauf. Die Gruppe hingegen muss nach Manrek hinüber. Nach Brendhil, oder nach Manrin...
Bei Ankunft gab es keine anschließende Passage nach Manrek. Die Gruppe übernachtete im Hafenviertel, aber auch am nächsten Morgen war kein Schiff zu finden, das sie übersetzten konnte. Sie verbrachten den Tag in der Stadt, erklommen den Weg die Klippe hinauf, blickten hinab auf die Schiffe, weit entfernt. Zwei Tempel standen sich gegenüber, jeweils am Rande des Plateaus. Über dem Meer stand der Swafnirtempel, zur Klippe hin offen, Stufen führten hinunter zu einem Absatz der Wind und Wetter ausgeliefert war. Auf der anderen Seite, über dem Abfall zum Land trohnte ein Rondratempel, Banner im Wind, der die Bedeutung Overthorns für die Kriegslangschiffe betonte. Nachdem sie sich "genug Wind um die Nase" hatten wehen lassen, wie Keldi sagte, begaben sie sich wieder hinunter. Althea besuchte einige der Kontore, um nach Nachrichten zu fragen, die Zwerge besuchten den "Tuzaker", der eine beachtliche Sammlung an Waffen aus allen Teilen Aventuriens führte. Am Nachmittag trafen sie sich im "Füllhorn", am Hafen. Der Abend brachte ihnen dann endlich eine Passage nach Manrek, nach Manrin, für den nächsten Morgen...
Overthorn, am Nachmittag.
Die Sonne steht hoch, doch ein feiner Wind weht vom Meer herauf und nimmt dem Tag seine Schwere. Die Klippenstraße, die sich vom Plateau zur Hafenebene hinabschlängelt, ist heute belebt, aber nicht hektisch. Inmitten der Geräusche – das Rufen von Hafenarbeitern, das Quietschen von Wagen, das Geklapper von Holz und Metall – geht die Gruppe ihrer Wege.
Althea
Althea geht mit aufrechtem Gang die Stufen der oberen Kaufmannsgasse entlang. Ihr wallender Umhang flattert leicht, das Licht tanzt auf ihrem bronzenen Stirnreif. Zwischen den Kontoren gleitet sie mit einer Mischung aus höflicher Neugier und selbstbewusster Ruhe.
Die Kontore hier sind keine Marktbuden, sondern solide, steinerne Häuser mit geschnitzten Holztüren, schweren Eisenbeschlägen und Fenstern, hinter denen Notare, Schreiber und Händler ihrer Arbeit nachgehen. In jedem wird sie anders empfangen: freundlich, reserviert, neugierig, misstrauisch.
Doch Althea weiß, wie man redet – und wie man zuhört.
Sie fragt nach Schiffen, nach dem Wetter, nach den Preisen für Zimt und Eisen – und nebenbei auch nach Nachrichten aus dem Norden, der Insel Manrek, dem Festland. Sie zahlt keine Münze, aber gewinnt trotzdem – durch Präsenz, durch Sorgfalt, durch ein Lächeln an der richtigen Stelle.
Ein alter Händler, dessen Bart bis auf die Brust reicht, schenkt ihr einen Tee aus einer kleinen, verzierten Kanne.
Sie geht weiter, lässt nichts Greifbares zurück – und doch bleibt ihr Eindruck.
Furka, Keldi, Tondar und Hurdin
Ein paar Gassen weiter, etwas unterhalb der Kontore, betreten die vier Zwerge einen breiten Bau mit offenem Tor und metallenen Schildern. Die Schmiede „Tuzaker“ – ein Name, der in den Tavernen des Nordens mit respektvollem Nicken bedacht wird.
Drinnen: Waffen, soweit das Auge reicht.
Nicht in Haufen, nicht als Trophäen – sondern geordnet. An Wänden, auf Tischen, in verschlossenen Glasvitrinen. Breitschwerter, Thorwaler Äxte, tulamidische Krummsäbel, gar eine Aranische Panzerlanze. Die Zwerge gehen langsam. Sie sprechen kaum, aber ihre Augen sind wachsam, prüfend.
Furka hebt eine Klingenfassung an, dreht sie mit zwei Fingern, prüft den Schwerpunkt.
Keldi murmelt etwas über "billigen Schaft", woraufhin der Händler persönlich herbeikommt – und eine lebhafte, aber respektvolle Diskussion beginnt.
Tondar verschwindet beinahe in einer Wand von Armbrüsten, während Hurdin sich eingehend mit einer ungewöhnlichen Waffe beschäftigt: einem zweiläufigen Bolzenwerfer aus Andergast.
Sie kaufen wenig – vielleicht gar nichts. Aber ihre Art zu prüfen und zu vergleichen wirkt wie ein zeremonieller Tanz. Der Händler beobachtet das Ganze mit einem zufriedenen Lächeln. Dies sind Kundige, keine Touristen.
Archon
Archon war kurz mit hineingegangen, hatte sich jedoch schnell wieder abgesetzt. Die Welt aus Stahl und Rauch ist nicht seine.
Er wandert ziellos durch die Straßen, folgt nicht der Klippe oder den Händlern – sondern dem Wind, den Gerüchen, den Stimmen. Er bleibt stehen bei einem Straßenmusiker, hört kurz zu. Kauft sich eine kleine Flasche mit einem goldenen Elixier, das „gegen alles hilft“. Lächelt.
Dann steigt er hinab zum Hafen und betritt schon am frühen Nachmittag das Füllhorn. Die Taverne ist noch leer. Zwei Seeleute schlafen in einer Ecke, die Wirtin nickt ihm müde zu.
Er nimmt am Fenster Platz, von wo aus man den unteren Kai überblickt.
Bestellt Wein. Nicht, weil er Durst hat – sondern weil es passt.
Er schaut auf das Wasser hinaus, auf die Schiffe – und auf das Leben.
──────────────────────────────────
Marin ist wie Overthorn ein beliebter Haltepunkt auf dem Weg in den Norden. Im Gegensatz zu Overthorns kriegerischem Unterton, ist Manrek aber durch und durch dem Handel verschrieben. Es heisst, dass hier auch Schiffsladungen umgesetzt werden können, deren vorgeriger Besitzer diese vielleicht nicht ganz freiwillig hergegeben habe. Wenn es sich lohnt zumindest... Und lohnen tut es sich, da, was ein Schiff ablädt schnell vom nächsten benötigt wird. Jetzt ist Manrin aber keine Stadt, in der rohe Gestalten über den Marktplatz flanieren, es ist eher so, dass hier Warenpapiere und Ladelisten gerne einmal unter den Tisch fallen. Die Stadt ist offen gebaut, seitens des Hafen zieht sich der Sandstrand, der an der gesamten Südwestküste Manreks vorherrscht, die Häuser dort sind bis an den Sand gebaut. Weiter landeinwärts gehen die Dünen aber in bewachsenes Grasland über, und noch weiter gibt es sogar Kulturflächen und dichten Wald.
Manrin – ein Ort mit Sand in den Gassen und Silber auf der Zunge.
Am Kai wird gerufen, gelacht, gefeilscht – und manchmal dabei ganz nebenbei eine ganze Schiffsladung verschoben. Männer mit wettergegerbten Gesichtern tauschen Warenlisten wie andere Leute Spielkarten, und niemand schaut zweimal hin, wenn auf einem Fass plötzlich ein neuer Absender steht. „Hat sich wohl jemand umentschieden“, heißt es dann, und der Karren rollt weiter.
Die Häuser reichen bis in den Sand, weiß gekalkt, mit bunten Fensterläden und flatternden Stoffbahnen, die den salzigen Wind bremsen sollen. Kinder spielen am Rand der Docks, Händler bieten Fisch, Tuch und Gewürze feil – aber keiner bleibt stehen, wenn nicht auch ein Geschäft dahintersteht. Herzlichkeit, ja – aber zweckmäßig.
Im Hintergrund heben sich die Dünen. Weiter im Landesinneren beginnen gepflegte Felder, Weiden, und schließlich ein stiller, dunkler Wald. Auch dort wird gehandelt – mit Jagdgut, Holz, Geschichten.
Manrin lebt vom Fluss – nicht nur des Wassers, sondern auch des Goldes, der Gerüchte, der kleinen Gelegenheiten.
Nichts wird hier unnötig verkompliziert. Und manches wird gern übersehen – solange man dabei lächelt.
Ein Ort, an dem fast jeder alles hat – oder weiß, wer es hat.
Und wo ein zwinkernder Blick oft mehr wert ist als ein Vertrag mit Siegel.
Manrin in der Nachmittagssonne
Wenn der Tag sich neigt und die Sonne golden durch die kleinen Butzenscheiben fällt, wirkt Manrin wie ein Ort aus einer anderen Zeit – oder vielleicht einfach wie der Ort, an dem die Zeit ein wenig langsamer vergeht.
Am Hafen klingt das Stimmengewirr ab. Die schweren Arbeiten sind getan, die Schiffe entladen, die Lademeister haben ihre Bücher geschlossen – oder zumindest unter dem Tisch verschwinden lassen. Jetzt sitzt man beisammen, mit einem Glas Obstwein oder einer Schale dampfender Fischsuppe, redet leise, lacht viel – und lässt den Wind durch offene Türen wehen.
Die schmalen Gassen führen hinab zum Strand, wo das Leben sanfter pulsiert. Der Sand ist warm von der Sonne, die Wellen lecken gemächlich an den Booten, und wer barfuß dort sitzt, spürt, wie das Meer das Land küsst. Kinder jagen Möwen, ein alter Seemann spielt auf seiner Flöte, und über allem liegt das salzige, würzige Aroma des späten Nachmittags – ein Duft aus Tang, Teer und Sonnenöl.
Hier ist der Handel nicht laut, sondern ein Tanz. Jeder kennt seinen Schritt. Jeder weiß, wann man schweigt – und wann man zwinkert.
Nach einem Nachmittag auf dem zentralen Markt von Manrin begibt sich die Gruppe zur Taverne Sturztrinker, "ein Geheimtipp", wie Furka wissen will. Die Taverne liegt am östlichen Stadtrand, direkt vor den Dünen. Die Nachmittagssonne scheint durch die halb geöffnete Tür, die eine leichte Brise hineinlässt, als die Gruppe sich an einem Tisch an der Fensterfront niederlässt. Es sind nur wenige Gäste anwesend, und die Gruppe sitzt andächtig bei einem Bier. Althea spricht mit dem Wirt und fragt nach Tiomar Swafnildsson. Nachdem der Wirt den Kopf geschüttelt hat und sich wieder zur Theke begibt, schiebt ein anderer Gast seinen Stuhl zurück und kommt auf dem Tisch der Gruppe zu...
Die Tür des *Sturztrinkers* knarrt leise im Wind, während der Wirt mit einer Bewegung, die zugleich routiniert und desinteressiert wirkt, das Glas unter der Theke absetzt. Altheas Frage ist bereits im Raum verhallt, das Kopfschütteln des Wirts eine stumme Antwort.
Doch bevor sich das Gespräch am Tisch wieder der eigenen Runde zuwenden kann, schiebt einer der Gäste seinen Stuhl zurück. Das Geräusch ist nicht laut, aber bestimmt genug, um Aufmerksamkeit zu ziehen.
Erwo von Gollbrinck bleibt kurz neben dem Tisch stehen, als prüfe er den Klang der Stimmen, bevor er selbst den Faden aufnimmt.
„Tiomar Swafnildsson, sagtet ihr?“ Seine Stimme ist warm, aber mit einem Unterton, der den Ernst mitschwingen lässt.
Er mustert die Runde – und es ist mehr als Neugier: ein prüfender Blick, der nicht nur die Gesichter, sondern die Haltung und das Schweigen dazwischen liest.
„Ich kannte ihn.“ Die Betonung auf *kannte* verrät, dass da eine Geschichte liegt, aber er zieht sie nicht sofort hervor. Stattdessen schiebt er sich mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der das Reisen gewöhnt ist, auf die Bank am Tischende.
„Man sagt, Manrin ist ein Ort, an dem sich Wege kreuzen. Das stimmt. Manche kreuzen sich, und dann… verlieren sie sich. Tiomar, Umbrik, Beorn… wir haben ein Stück dieses Golfs gemeinsam gesehen. Bis es eben nicht mehr ging.“
Er lächelt, nicht breit, eher wie jemand, der gerade einen alten Wein probiert und feststellt, dass er immer noch einen guten Abgang hat. „Und jetzt sitze ich hier, trinke Bier, und höre den Namen eines alten Gefährten, als wäre er gerade in den Raum getreten.“
Erwo lehnt sich zurück, sein Blick wandert kurz zum Fenster, hinaus zu den Dünen. „Wenn ihr ihn sucht, dann führt euch der Weg wohl nach Brendhil. Das ist eine Strecke, die sich zu zweit oder dritt… oder eben mit einer Handvoll Zwerge leichter gehen lässt. Ich könnte euch begleiten. Nicht, weil ich muss. Sondern weil man im Alter die besseren Geschichten erzählt, wenn man sie unterwegs erzählt.“
Er sieht nacheinander jeden an, sein Blick verweilt einen Herzschlag länger auf Althea. Dann hebt er den Krug und trinkt. Keine übertriebene Geste, nur eine stille Zusage, dass das Gespräch noch nicht zu Ende ist – und dass die Reise vielleicht gerade begonnen hat.
Der *Sturztrinker* leert sich langsam, während draußen das Gold der späten Sonne in ein tiefes Kupfer übergeht. Der Wirt wischt noch einmal die Theke ab, und die wenigen Stimmen im Raum werden leiser, wie von selbst. Die Gruppe erhebt sich schließlich, bezahlt, und tritt hinaus in den milden Abend, der vom Duft nach Salz und warmem Sand getragen wird.
Der Weg hinunter zum Hafen ist ruhig, nur das leise Rufen eines Möwenpaares und das ferne Klirren von Tauen an Masten begleitet sie. In der Herberge, deren Fenster zum Wasser hinausgehen, knarrt das Holz unter ihren Schritten.
Oben, in einem schlichten, aber sauberen Gemeinschaftsraum, zieht Erwo sein Gepäck näher zu sich heran. Er öffnet es ohne Hast – und fördert, fast feierlich, eine Weinflasche zutage, deren Glas im Kerzenlicht matt schimmert und von einer dünnen Staubschicht bedeckt ist.
„Hat mich über mehr als eine Reise begleitet,“ sagt er, als er sie in die Mitte des Tisches stellt.
Archon lehnt sich vor, prüft das Etikett – soweit es noch zu erkennen ist – und lässt ein zustimmendes, tiefes Schnalzen hören. „Das ist kein Zufallsfund,“ murmelt er, als wäre er kurz wieder in einer anderen Zeit.
Die Korken klingen beim Ziehen gedämpft, der Wein fließt in einfache Keramikbecher, doch sein Duft ist unerwartet voll. Man trinkt in kleinen Schlucken, redet leiser, und es liegt eine Wärme im Raum, die weniger vom Alkohol kommt, sondern von dem unausgesprochenen Gefühl, dass aus Fremden in diesem Moment Gefährten geworden sind.
Draußen schlägt eine Welle an den Kai. Drinnen brennen die Kerzen noch lange.
(Versatzstücke)
Nach Tjanset ist Overthorn eine Offenbarung. Einer der größten Häfen am Golf, an der'Spitze des Golfes', liegt Oberthorn auf einer hohen Klippe, nur über See erreichbar, aber einer der wichtigsten Haltepunkte für Schiffe, die weiter in den Norden Thorwals unterwegs sind. Vom großen Hafen aus, am Fuß der Klippe gelegen, windet sich ein steiler Weg im Zickzack die Felswand empor, auf beiden Seiten von Lagerhäusern, Kontoren und Wohnhäusern gesäumt. Das Plateau erreicht, befindet man sich im Hauptteil des Ortes. Lange Häuserzeilen, die dem Rand der Klippe folgen und ein paar weitere Häuser, die den Hang hinauf gebaut sind. Von hier aus genießt man einen hervorragenden Blick hinunter zum Hafen, auf die schimmernden Wellen und über das Wasser des Golfes. Nach Nordwesten am Horizont ist die Insel Manrek zu erahnen.
Dieser Ort schläft nie. Geschäftigkeit am Hafen. Reger Verkehr den Weg die Klippe hinauf. Die Gruppe hingegen muss nach Manrek hinüber. Nach Brendhil, oder nach Manrin...
Bei Ankunft gab es keine anschließende Passage nach Manrek. Die Gruppe übernachtete im Hafenviertel, aber auch am nächsten Morgen war kein Schiff zu finden, das sie übersetzten konnte. Sie verbrachten den Tag in der Stadt, erklommen den Weg die Klippe hinauf, blickten hinab auf die Schiffe, weit entfernt. Zwei Tempel standen sich gegenüber, jeweils am Rande des Plateaus. Über dem Meer stand der Swafnirtempel, zur Klippe hin offen, Stufen führten hinunter zu einem Absatz der Wind und Wetter ausgeliefert war. Auf der anderen Seite, über dem Abfall zum Land trohnte ein Rondratempel, Banner im Wind, der die Bedeutung Overthorns für die Kriegslangschiffe betonte. Nachdem sie sich "genug Wind um die Nase" hatten wehen lassen, wie Keldi sagte, begaben sie sich wieder hinunter. Althea besuchte einige der Kontore, um nach Nachrichten zu fragen, die Zwerge besuchten den "Tuzaker", der eine beachtliche Sammlung an Waffen aus allen Teilen Aventuriens führte. Am Nachmittag trafen sie sich im "Füllhorn", am Hafen. Der Abend brachte ihnen dann endlich eine Passage nach Manrek, nach Manrin, für den nächsten Morgen...
Overthorn, am Nachmittag.
Die Sonne steht hoch, doch ein feiner Wind weht vom Meer herauf und nimmt dem Tag seine Schwere. Die Klippenstraße, die sich vom Plateau zur Hafenebene hinabschlängelt, ist heute belebt, aber nicht hektisch. Inmitten der Geräusche – das Rufen von Hafenarbeitern, das Quietschen von Wagen, das Geklapper von Holz und Metall – geht die Gruppe ihrer Wege.
Althea
Althea geht mit aufrechtem Gang die Stufen der oberen Kaufmannsgasse entlang. Ihr wallender Umhang flattert leicht, das Licht tanzt auf ihrem bronzenen Stirnreif. Zwischen den Kontoren gleitet sie mit einer Mischung aus höflicher Neugier und selbstbewusster Ruhe.
Die Kontore hier sind keine Marktbuden, sondern solide, steinerne Häuser mit geschnitzten Holztüren, schweren Eisenbeschlägen und Fenstern, hinter denen Notare, Schreiber und Händler ihrer Arbeit nachgehen. In jedem wird sie anders empfangen: freundlich, reserviert, neugierig, misstrauisch.
Doch Althea weiß, wie man redet – und wie man zuhört.
Sie fragt nach Schiffen, nach dem Wetter, nach den Preisen für Zimt und Eisen – und nebenbei auch nach Nachrichten aus dem Norden, der Insel Manrek, dem Festland. Sie zahlt keine Münze, aber gewinnt trotzdem – durch Präsenz, durch Sorgfalt, durch ein Lächeln an der richtigen Stelle.
Ein alter Händler, dessen Bart bis auf die Brust reicht, schenkt ihr einen Tee aus einer kleinen, verzierten Kanne.
Sie geht weiter, lässt nichts Greifbares zurück – und doch bleibt ihr Eindruck.
Furka, Keldi, Tondar und Hurdin
Ein paar Gassen weiter, etwas unterhalb der Kontore, betreten die vier Zwerge einen breiten Bau mit offenem Tor und metallenen Schildern. Die Schmiede „Tuzaker“ – ein Name, der in den Tavernen des Nordens mit respektvollem Nicken bedacht wird.
Drinnen: Waffen, soweit das Auge reicht.
Nicht in Haufen, nicht als Trophäen – sondern geordnet. An Wänden, auf Tischen, in verschlossenen Glasvitrinen. Breitschwerter, Thorwaler Äxte, tulamidische Krummsäbel, gar eine Aranische Panzerlanze. Die Zwerge gehen langsam. Sie sprechen kaum, aber ihre Augen sind wachsam, prüfend.
Furka hebt eine Klingenfassung an, dreht sie mit zwei Fingern, prüft den Schwerpunkt.
Keldi murmelt etwas über "billigen Schaft", woraufhin der Händler persönlich herbeikommt – und eine lebhafte, aber respektvolle Diskussion beginnt.
Tondar verschwindet beinahe in einer Wand von Armbrüsten, während Hurdin sich eingehend mit einer ungewöhnlichen Waffe beschäftigt: einem zweiläufigen Bolzenwerfer aus Andergast.
Sie kaufen wenig – vielleicht gar nichts. Aber ihre Art zu prüfen und zu vergleichen wirkt wie ein zeremonieller Tanz. Der Händler beobachtet das Ganze mit einem zufriedenen Lächeln. Dies sind Kundige, keine Touristen.
Archon
Archon war kurz mit hineingegangen, hatte sich jedoch schnell wieder abgesetzt. Die Welt aus Stahl und Rauch ist nicht seine.
Er wandert ziellos durch die Straßen, folgt nicht der Klippe oder den Händlern – sondern dem Wind, den Gerüchen, den Stimmen. Er bleibt stehen bei einem Straßenmusiker, hört kurz zu. Kauft sich eine kleine Flasche mit einem goldenen Elixier, das „gegen alles hilft“. Lächelt.
Dann steigt er hinab zum Hafen und betritt schon am frühen Nachmittag das Füllhorn. Die Taverne ist noch leer. Zwei Seeleute schlafen in einer Ecke, die Wirtin nickt ihm müde zu.
Er nimmt am Fenster Platz, von wo aus man den unteren Kai überblickt.
Bestellt Wein. Nicht, weil er Durst hat – sondern weil es passt.
Er schaut auf das Wasser hinaus, auf die Schiffe – und auf das Leben.
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Marin ist wie Overthorn ein beliebter Haltepunkt auf dem Weg in den Norden. Im Gegensatz zu Overthorns kriegerischem Unterton, ist Manrek aber durch und durch dem Handel verschrieben. Es heisst, dass hier auch Schiffsladungen umgesetzt werden können, deren vorgeriger Besitzer diese vielleicht nicht ganz freiwillig hergegeben habe. Wenn es sich lohnt zumindest... Und lohnen tut es sich, da, was ein Schiff ablädt schnell vom nächsten benötigt wird. Jetzt ist Manrin aber keine Stadt, in der rohe Gestalten über den Marktplatz flanieren, es ist eher so, dass hier Warenpapiere und Ladelisten gerne einmal unter den Tisch fallen. Die Stadt ist offen gebaut, seitens des Hafen zieht sich der Sandstrand, der an der gesamten Südwestküste Manreks vorherrscht, die Häuser dort sind bis an den Sand gebaut. Weiter landeinwärts gehen die Dünen aber in bewachsenes Grasland über, und noch weiter gibt es sogar Kulturflächen und dichten Wald.
Manrin – ein Ort mit Sand in den Gassen und Silber auf der Zunge.
Am Kai wird gerufen, gelacht, gefeilscht – und manchmal dabei ganz nebenbei eine ganze Schiffsladung verschoben. Männer mit wettergegerbten Gesichtern tauschen Warenlisten wie andere Leute Spielkarten, und niemand schaut zweimal hin, wenn auf einem Fass plötzlich ein neuer Absender steht. „Hat sich wohl jemand umentschieden“, heißt es dann, und der Karren rollt weiter.
Die Häuser reichen bis in den Sand, weiß gekalkt, mit bunten Fensterläden und flatternden Stoffbahnen, die den salzigen Wind bremsen sollen. Kinder spielen am Rand der Docks, Händler bieten Fisch, Tuch und Gewürze feil – aber keiner bleibt stehen, wenn nicht auch ein Geschäft dahintersteht. Herzlichkeit, ja – aber zweckmäßig.
Im Hintergrund heben sich die Dünen. Weiter im Landesinneren beginnen gepflegte Felder, Weiden, und schließlich ein stiller, dunkler Wald. Auch dort wird gehandelt – mit Jagdgut, Holz, Geschichten.
Manrin lebt vom Fluss – nicht nur des Wassers, sondern auch des Goldes, der Gerüchte, der kleinen Gelegenheiten.
Nichts wird hier unnötig verkompliziert. Und manches wird gern übersehen – solange man dabei lächelt.
Ein Ort, an dem fast jeder alles hat – oder weiß, wer es hat.
Und wo ein zwinkernder Blick oft mehr wert ist als ein Vertrag mit Siegel.
Manrin in der Nachmittagssonne
Wenn der Tag sich neigt und die Sonne golden durch die kleinen Butzenscheiben fällt, wirkt Manrin wie ein Ort aus einer anderen Zeit – oder vielleicht einfach wie der Ort, an dem die Zeit ein wenig langsamer vergeht.
Am Hafen klingt das Stimmengewirr ab. Die schweren Arbeiten sind getan, die Schiffe entladen, die Lademeister haben ihre Bücher geschlossen – oder zumindest unter dem Tisch verschwinden lassen. Jetzt sitzt man beisammen, mit einem Glas Obstwein oder einer Schale dampfender Fischsuppe, redet leise, lacht viel – und lässt den Wind durch offene Türen wehen.
Die schmalen Gassen führen hinab zum Strand, wo das Leben sanfter pulsiert. Der Sand ist warm von der Sonne, die Wellen lecken gemächlich an den Booten, und wer barfuß dort sitzt, spürt, wie das Meer das Land küsst. Kinder jagen Möwen, ein alter Seemann spielt auf seiner Flöte, und über allem liegt das salzige, würzige Aroma des späten Nachmittags – ein Duft aus Tang, Teer und Sonnenöl.
Hier ist der Handel nicht laut, sondern ein Tanz. Jeder kennt seinen Schritt. Jeder weiß, wann man schweigt – und wann man zwinkert.
Nach einem Nachmittag auf dem zentralen Markt von Manrin begibt sich die Gruppe zur Taverne Sturztrinker, "ein Geheimtipp", wie Furka wissen will. Die Taverne liegt am östlichen Stadtrand, direkt vor den Dünen. Die Nachmittagssonne scheint durch die halb geöffnete Tür, die eine leichte Brise hineinlässt, als die Gruppe sich an einem Tisch an der Fensterfront niederlässt. Es sind nur wenige Gäste anwesend, und die Gruppe sitzt andächtig bei einem Bier. Althea spricht mit dem Wirt und fragt nach Tiomar Swafnildsson. Nachdem der Wirt den Kopf geschüttelt hat und sich wieder zur Theke begibt, schiebt ein anderer Gast seinen Stuhl zurück und kommt auf dem Tisch der Gruppe zu...
Die Tür des *Sturztrinkers* knarrt leise im Wind, während der Wirt mit einer Bewegung, die zugleich routiniert und desinteressiert wirkt, das Glas unter der Theke absetzt. Altheas Frage ist bereits im Raum verhallt, das Kopfschütteln des Wirts eine stumme Antwort.
Doch bevor sich das Gespräch am Tisch wieder der eigenen Runde zuwenden kann, schiebt einer der Gäste seinen Stuhl zurück. Das Geräusch ist nicht laut, aber bestimmt genug, um Aufmerksamkeit zu ziehen.
Erwo von Gollbrinck bleibt kurz neben dem Tisch stehen, als prüfe er den Klang der Stimmen, bevor er selbst den Faden aufnimmt.
„Tiomar Swafnildsson, sagtet ihr?“ Seine Stimme ist warm, aber mit einem Unterton, der den Ernst mitschwingen lässt.
Er mustert die Runde – und es ist mehr als Neugier: ein prüfender Blick, der nicht nur die Gesichter, sondern die Haltung und das Schweigen dazwischen liest.
„Ich kannte ihn.“ Die Betonung auf *kannte* verrät, dass da eine Geschichte liegt, aber er zieht sie nicht sofort hervor. Stattdessen schiebt er sich mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der das Reisen gewöhnt ist, auf die Bank am Tischende.
„Man sagt, Manrin ist ein Ort, an dem sich Wege kreuzen. Das stimmt. Manche kreuzen sich, und dann… verlieren sie sich. Tiomar, Umbrik, Beorn… wir haben ein Stück dieses Golfs gemeinsam gesehen. Bis es eben nicht mehr ging.“
Er lächelt, nicht breit, eher wie jemand, der gerade einen alten Wein probiert und feststellt, dass er immer noch einen guten Abgang hat. „Und jetzt sitze ich hier, trinke Bier, und höre den Namen eines alten Gefährten, als wäre er gerade in den Raum getreten.“
Erwo lehnt sich zurück, sein Blick wandert kurz zum Fenster, hinaus zu den Dünen. „Wenn ihr ihn sucht, dann führt euch der Weg wohl nach Brendhil. Das ist eine Strecke, die sich zu zweit oder dritt… oder eben mit einer Handvoll Zwerge leichter gehen lässt. Ich könnte euch begleiten. Nicht, weil ich muss. Sondern weil man im Alter die besseren Geschichten erzählt, wenn man sie unterwegs erzählt.“
Er sieht nacheinander jeden an, sein Blick verweilt einen Herzschlag länger auf Althea. Dann hebt er den Krug und trinkt. Keine übertriebene Geste, nur eine stille Zusage, dass das Gespräch noch nicht zu Ende ist – und dass die Reise vielleicht gerade begonnen hat.
Der *Sturztrinker* leert sich langsam, während draußen das Gold der späten Sonne in ein tiefes Kupfer übergeht. Der Wirt wischt noch einmal die Theke ab, und die wenigen Stimmen im Raum werden leiser, wie von selbst. Die Gruppe erhebt sich schließlich, bezahlt, und tritt hinaus in den milden Abend, der vom Duft nach Salz und warmem Sand getragen wird.
Der Weg hinunter zum Hafen ist ruhig, nur das leise Rufen eines Möwenpaares und das ferne Klirren von Tauen an Masten begleitet sie. In der Herberge, deren Fenster zum Wasser hinausgehen, knarrt das Holz unter ihren Schritten.
Oben, in einem schlichten, aber sauberen Gemeinschaftsraum, zieht Erwo sein Gepäck näher zu sich heran. Er öffnet es ohne Hast – und fördert, fast feierlich, eine Weinflasche zutage, deren Glas im Kerzenlicht matt schimmert und von einer dünnen Staubschicht bedeckt ist.
„Hat mich über mehr als eine Reise begleitet,“ sagt er, als er sie in die Mitte des Tisches stellt.
Archon lehnt sich vor, prüft das Etikett – soweit es noch zu erkennen ist – und lässt ein zustimmendes, tiefes Schnalzen hören. „Das ist kein Zufallsfund,“ murmelt er, als wäre er kurz wieder in einer anderen Zeit.
Die Korken klingen beim Ziehen gedämpft, der Wein fließt in einfache Keramikbecher, doch sein Duft ist unerwartet voll. Man trinkt in kleinen Schlucken, redet leiser, und es liegt eine Wärme im Raum, die weniger vom Alkohol kommt, sondern von dem unausgesprochenen Gefühl, dass aus Fremden in diesem Moment Gefährten geworden sind.
Draußen schlägt eine Welle an den Kai. Drinnen brennen die Kerzen noch lange.

