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Ich denke, ich fange wieder an...
#74
Die Versammlung des Ältestenrats von Oberorken fand an diesem Abend in der großen Halle neben dem Ingerimmtempel statt. Das schwere Portal stand weit offen, um den frischen Wind hereinzulassen. Die Halle war schlicht, aber von einer stillen Würde erfüllt: steinerne Pfeiler, geschnitzte Wappen und über dem Feuerbecken der schwere Geruch von Rauch und Eisen.
Althea und Keldi standen nebeneinander, die Spuren der langen Reise noch nicht ganz aus den Kleidern verschwunden. Ihre Umhänge rochen nach Staub und kaltem Wind. Als die letzten Plätze eingenommen waren, herrschte eine aufmerksame, gespannte Ruhe.
Keldi war der erste, der das Wort ergriff. Seine Stimme hatte diesen tiefen Klang, der schon in der Stille etwas Gewicht mitbrachte:
„Wir sind zurück aus dem Orkland. Drei Wochen lang haben wir den Bodirstieg hinter uns gelassen, den Einsiedlersee umrundet, und auf dem Rückweg mussten wir uns den Weg freikämpfen. Das Land nördlich des Passes – ich sage es ohne Umschweife – gehört nicht mehr uns.“
Er ließ die Worte einen Moment im Raum hängen. Ein paar der älteren Zwerge beugten sich vor, die Stirn in Falten gelegt.
„Die Orks sammeln sich,“ fuhr er fort. „Nicht nur Banden. Wir haben Späher gesehen, die auf die Handelsstraße schauen. Große Feuer in den Hügeln. Sie sind nicht mehr vereinzelt. Sie warten.“
Dann sprach Althea. Anders als Keldi war ihre Stimme hell und klar, aber voller Nachdruck.
„Wir haben die Greifen gesehen, die das Land bewachen – und selbst sie warnen uns. Und die, die sich in die Steppe wagen, werden allein gelassen. Wenn ihr die Straßen nicht schützt, wird es bald keine Reisenden mehr geben, die den Bodir oder den Pass queren.“
Ein Murmeln ging durch den Rat. Menschen und Zwerge, die diesen Ort über Winter für sicher hielten, warfen sich Blicke zu.
Althea atmete einmal tief durch und hob dann die Hand, als wollte sie die Worte in eine Linie fassen:
„Wir haben mit eigenen Augen gesehen, wie sie sich bewegen. Wir sind auf Banden gestoßen, die nichts mehr mit den hungrigen Horden des letzten Winters zu tun hatten. Sie waren organisiert, wachsam, still. Wenn diese Strömung weiter nach Süden drängt, werden die ersten sein, die es zu spüren bekommen, die Händlerzüge zwischen Vilnheim, Felsteyn und Oberorken. Und wenn der Pass fällt, ist das Tor zu.“
Keldi nickte, verschränkt die Arme, dann spricht er mit dieser ruhigen Entschlossenheit, die er über den Winter bei den Ältesten gelernt hat:
„Es reicht nicht mehr, die paar Büttel auf den Straßen nach dem Rechten sehen zu lassen. Wir brauchen Patrouillen. Von Oberorken aus den Bodirstieg hinunter. Über die Handelsstraße bis Felsteyn. Wir brauchen Wachen an den Flussquerungen. Und wir brauchen Augen. Vielleicht können die Ottaskins für diesen Winter gewonnen werden – wenn die Thorwaler wachen, schlafen die Orks weniger ruhig.“
Ein alter Zwerg, Barid Eisenfaust, beugte sich nach vorn, seine gefurchte Stirn im Licht des Feuers scharf gezeichnet:
„Ihr redet wie Boten aus einer dunklen Zeit. Aber eure Worte tragen Gewicht. Wir werden uns beraten müssen, und das schnell.“
Eine Frau aus der Vorstadt, deren Stimme man selten in dieser Halle hörte, erhob sich zögerlich:
„Wenn sie wirklich kommen… was wird dann aus den Feldern? Aus unseren Kindern?“
Althea blickte zu ihr und sprach leiser, aber eindringlich:
„Darum sind wir zurückgekehrt, bevor der Pass unpassierbar wurde. Damit wir euch warnen können. Damit noch Zeit ist, Wachen zu rufen und Pläne zu schmieden. Die Stadt hat Winter überstanden – aber dieser Frühling riecht anders.“
Langsam breitete sich Schweigen aus.
Im Rauch des Feuers zogen die Schatten der Pfeiler lang über die Halle.
Man hörte nur das Knacken der Balken.
Keldi legte eine Hand auf den Tisch vor sich, seine Finger trommelten nicht, sie ruhten nur.
„Wir haben euch Berichte hinterlassen – jede Begegnung, jeden Späher, jede Spur haben wir festgehalten. Wir haben ein Bild gezeichnet. Jetzt müsst ihr handeln.“
Althea ließ ihren Blick über die Gesichter wandern. Viele davon hatte sie in den langen Winterabenden kennengelernt, als sie gemeinsam mit Keldi die Chroniken der Stadt zusammengetragen hatte.
Und vielleicht war das der Unterschied: Sie kannten sie jetzt. Sie wussten, dass ihre Worte nicht leichtfertig gesprochen waren.
Der Ältestenrat erhob sich nicht, er beschloss nichts sofort. Aber man spürte, dass diese Nacht länger dauern würde. Dass die Gespräche sich durch die Flure und in die Häuser ziehen würden.
Als Althea und Keldi die Halle verließen, war der Himmel klar. Über den Dächern von Oberorken spannte sich ein Bogen von Sternen. Und irgendwo im Norden lag die Steppe, unsichtbar hinter Bergen und Schnee – aber nicht mehr unsichtbar im Denken derer, die hier saßen.
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Nachrichten in diesem Thema
Ich denke, ich fange wieder an... - von Althea - 13.10.2012, 10:38
RE: Ich denke, ich fange wieder an... - von Althea - 02.08.2025, 11:36



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