02.07.2018, 08:15
Den Zwölfen zum Gruße!
Wie war der gestrige Tag? Ich war erst guten Mutes, aber am Ende wurde es doch sehr zäh. Zuerst einige schöne Szenen in der ersten halben Stunde, von denen ich mir mehr versprach. Dann schien es ein endloses Hin und Her zu werden, ohne dass eine Entscheidung fallen wollte. Selbst die zusätzliche Zeit brachte kein Ergebnis. Am Ende war ich dann froh, dass es mit einem (auf diese Weise) verdienten Ergebnis vorbei war.
Tja, so war der Einkaufsbummel in Amsterdam! Kommen wir nun zu den beiden Fußballspielen.
Da wurde ich in beiderlei Hinsicht überrascht: Spanien scheint so verinnerlicht zu haben, dass "Ballbesitz" mit "Spiel gewinnen" korrelliert, dass sie Tore schießen nicht mehr so wichtig finden. Man sollte ihnen die Statistiken einiger Spiele der diesjährigen WM zeigen. Vielleicht hört man auch endlich auf, den Ballbesitz als wichtige Größe aufzuführen - ebenso wie die Laufleistung, die nach statistischen Analysen völlig irrelevant ist. Vielleicht erfindet sich Spanien nach jetzt drei frühen Heimreisen in Turnieren (Achtelfinale, Achtelfinale, Vorrunde) doch noch einmal neu. Die Talente haben sie. Allein der Wille zum Taktikwechsel (bzw. Tiki-Taka-Wechsel) scheint zu fehlen. Für Russland ist es der größte Erfolg seit der WM 1970 (damals noch als UdSSR).
Die Dänen waren gegen die Kroaten deutlich härter als umgekehrt und meckerten auch noch herum. Dass da nicht reihenweise gelbe Karten gegeben wurden, wundert mich. Lustigerweise fielen die Tore gleich in den ersten Minuten, danach wurde gekämpft, ohne dass es allzu zwingend wurde. Die Kroaten waren einen Tacken besser - ein paar mehr schnelle Konter und das hätte es in der regulären Spielzeit gewesen sein können. Unglaublich die Szene mit der Notbremse im Strafraum - das wäre eine 100%ige Torchance gewesen. Der danach verschossene Elfmeter wirkte wie ein Menetekel, aber die Kroaten haben's am Ende doch noch geschafft und ich mich gefreut. Das zeigt mir, dass meine Wunden von 1998 doch endlich verheilt sind (im damaligen Kroatienurlaub wurde ich mehrfach mit Hitlergruß und "Sieg Heil"-Rufen angeredet). Kroatien so stark wie seit ihrer ersten WM nicht mehr und ich würde ihnen den Sieg gegen Russland gönnen.
Für die Nostalgiker habe ich aber noch ein paar Leckerbissen ausgegraben. Erinnert Ihr Euch an die EM 2008?
Russland hatte damals zum ersten Mal seit langer Zeit ein gutes Team, schaffte es bis ins Halbfinale, verlor dort aber (wie in der Vorrunde) gegen Spanien, das seinen ersten Titel seit Jahrzehnten holte. Von Russlands damals eingesetztem Kader waren gestern noch zwei dabei, darunter der Torwart! Von Spaniens damals eingesetzten Spielern waren noch drei dabei. Für den Torwart war es also eine späte Genugtuung - und dann noch vor heimischem Publikum!
Was "späte Tore" angeht, so setzte das Viertelfinale Kroatien - Türkei Maßstäbe, die sogar bei dieser WM noch nicht erreicht oder übertroffen wurden. Kroatien schoss in der letzten Minute der Verlängerung ein Tor, die Türken, die mit ihrem 2. Torwart spielten, nachdem ihr erster im letzten Vorrundenspiel rot gesehen hatte, schienen geschlagen. Da macht ihr Torwart einen letzten weiten Abstoß - und sie schießen den Ausgleich in den letzten Sekunden. Die Kroaten natürlich völlig von der Rolle und beim anschließenden Elfmeterschießen zeigen zwei der Schützen Nerven. Kroatien, das Deutschland in der Vorrunde geschlagen hatte und Gruppensieger war, war raus. Bei dieser WM sind noch drei Kroaten vom 2008er Kader dabei, darunter die beiden Elfmeterschützen, die 2008 vergaben. Und der entscheidende Elfmeter gestern abend wurde von einem von ihnen reingemacht!
Solche Geschichten kann Fußball schreiben. Wenn man genauer hinguckt, macht es manchmal noch mehr Spaß.
Nun zum zweiten Teil der Serie zu Fußballdeutschland. Auch da lohnt sich ein genaueres Hinsehen für mehr Freude.
Es gibt, das erlaube ich mir mit meinen internationalen Kontakten und meinen Jahren im Ausland zu sagen, eine spezielle Sache in der deutschen Mentalität: Dieses Schwanken zwischen den Extremen. Es geht immer von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt. Dazwischen gibt es nichts. Es scheint insbesondere eine merkwürdige Lust zu geben, sich an Weltuntergangsstimmung zu laben. Das steht einer nüchternen Analyse und einer Verbesserung in kleinen Schritten im Weg - auch im Fußball.
Es wird so getan, als sei ein Vorrundenaus der absolute Untergang, als sei das für einen amtierenden Weltmeister eine ungekannte Schmach. Wie solle es denn jetzt weitergehen?
Die nüchternen Fakten:
- Alle Weltmeister sind schon einmal in der Vorrunde ausgeschieden. Deutschland war nur das letzte Land, dem das passierte.
- Amtierende Weltmeister, die in der Vorrunde rausflogen: Brasilien (sogar nach zweimaligem Titelgewinn hintereinander!), Frankreich, Spanien, Italien, Deutschland. Also die Regel, nicht die Ausnahme.
- Bis auf Brasilien und Deutschland haben alle anderen auch schon einmal die Quali nicht geschafft.
- Die Serien, von 1954 bis 2014 immer unter den besten 8 gewesen zu sein und zuletzt viermal hintereinander das Halbfinale erreicht zu haben, ist beeindruckend. Aber eben außergewöhnlich.
Deutschland ist also einfach nur ein normales Land. Das sollte uns Deutsche eigentlich freuen, das wollen wir doch sonst immer.
Die beeindruckende "unter den besten 8"-Serie hatte auch zwei Nachteile: Sie stand größerer Erneuerung im Weg und setzte, "was zu erwarten war", zu hoch an. Diese Erwartungshaltung ist nur bei Brasilien ausgeprägter, wo alles außer der Titel nichts ist. Übrigens der Grund, warum ich die brasilianischen Fans nicht mag.
Was für einen Dreck Deutschland bei einigen WMs zusammengespielt hat und es dennoch weit geschafft hat! Es ist doch kein Wunder, wenn sich nun alle anderen freuen, dass endlich auch in Deutschland nur mit Wasser gekocht wird.
Fußball ist kein Sport, wo man gewöhnlicherweise konstant an der Spitze steht, sondern gleicht einer Achterbahnfahrt. Das muss man als Spieler natürlich verdauen lernen. Gestern war die heiße Sängerin Rihanna froh, ein Selfie mit Dir zu machen, heute spottet die ganze Welt über Dich.
"Vom Helden zum Deppen" und umgekehrt ist es ein kurzer Weg. Schauen wir einmal auf das umgekehrt. Brasilien war 1966 in der Vorrunde raus und wurde 1970 Weltmeister. Frankreich hatte sich 1990 und 1994 nicht einmal qualifiziert und wurde 1998 Weltmeister. Es gibt also Beispiele für eine fulminante Rückkehr - und das waren nur die krassesten Fälle.
Deutschland ist dreimal bei einer EM in der Vorrunde rausgeflogen. Bei der nachfolgenden WM kam man zweimal ins Finale, einmal wurde es ein dritter Platz. Es gibt also auch Beispiele für Erneuerung (oder zumindest Rückkehr nach oben) in der deutschen Fußballgeschichte.
Also Schluss mit dem Drama! Akzeptieren wir, dass wir normal sind.
Wie war der gestrige Tag? Ich war erst guten Mutes, aber am Ende wurde es doch sehr zäh. Zuerst einige schöne Szenen in der ersten halben Stunde, von denen ich mir mehr versprach. Dann schien es ein endloses Hin und Her zu werden, ohne dass eine Entscheidung fallen wollte. Selbst die zusätzliche Zeit brachte kein Ergebnis. Am Ende war ich dann froh, dass es mit einem (auf diese Weise) verdienten Ergebnis vorbei war.
Tja, so war der Einkaufsbummel in Amsterdam! Kommen wir nun zu den beiden Fußballspielen.
(01.07.2018, 08:28)Kunar schrieb: Alles andere als ein klarer Sieg Spaniens gegen Russland würde mich überraschen (und auch ein bequem verwaltetes 1:0 wäre ein klarer Sieg für mich, damit wir uns richtig verstehen). (...) Die Kroaten sind aber auch gut körperlich unterwegs - da müssen die Dänen erst einmal gegenhalten.
Da wurde ich in beiderlei Hinsicht überrascht: Spanien scheint so verinnerlicht zu haben, dass "Ballbesitz" mit "Spiel gewinnen" korrelliert, dass sie Tore schießen nicht mehr so wichtig finden. Man sollte ihnen die Statistiken einiger Spiele der diesjährigen WM zeigen. Vielleicht hört man auch endlich auf, den Ballbesitz als wichtige Größe aufzuführen - ebenso wie die Laufleistung, die nach statistischen Analysen völlig irrelevant ist. Vielleicht erfindet sich Spanien nach jetzt drei frühen Heimreisen in Turnieren (Achtelfinale, Achtelfinale, Vorrunde) doch noch einmal neu. Die Talente haben sie. Allein der Wille zum Taktikwechsel (bzw. Tiki-Taka-Wechsel) scheint zu fehlen. Für Russland ist es der größte Erfolg seit der WM 1970 (damals noch als UdSSR).
Die Dänen waren gegen die Kroaten deutlich härter als umgekehrt und meckerten auch noch herum. Dass da nicht reihenweise gelbe Karten gegeben wurden, wundert mich. Lustigerweise fielen die Tore gleich in den ersten Minuten, danach wurde gekämpft, ohne dass es allzu zwingend wurde. Die Kroaten waren einen Tacken besser - ein paar mehr schnelle Konter und das hätte es in der regulären Spielzeit gewesen sein können. Unglaublich die Szene mit der Notbremse im Strafraum - das wäre eine 100%ige Torchance gewesen. Der danach verschossene Elfmeter wirkte wie ein Menetekel, aber die Kroaten haben's am Ende doch noch geschafft und ich mich gefreut. Das zeigt mir, dass meine Wunden von 1998 doch endlich verheilt sind (im damaligen Kroatienurlaub wurde ich mehrfach mit Hitlergruß und "Sieg Heil"-Rufen angeredet). Kroatien so stark wie seit ihrer ersten WM nicht mehr und ich würde ihnen den Sieg gegen Russland gönnen.
Für die Nostalgiker habe ich aber noch ein paar Leckerbissen ausgegraben. Erinnert Ihr Euch an die EM 2008?
Russland hatte damals zum ersten Mal seit langer Zeit ein gutes Team, schaffte es bis ins Halbfinale, verlor dort aber (wie in der Vorrunde) gegen Spanien, das seinen ersten Titel seit Jahrzehnten holte. Von Russlands damals eingesetztem Kader waren gestern noch zwei dabei, darunter der Torwart! Von Spaniens damals eingesetzten Spielern waren noch drei dabei. Für den Torwart war es also eine späte Genugtuung - und dann noch vor heimischem Publikum!
Was "späte Tore" angeht, so setzte das Viertelfinale Kroatien - Türkei Maßstäbe, die sogar bei dieser WM noch nicht erreicht oder übertroffen wurden. Kroatien schoss in der letzten Minute der Verlängerung ein Tor, die Türken, die mit ihrem 2. Torwart spielten, nachdem ihr erster im letzten Vorrundenspiel rot gesehen hatte, schienen geschlagen. Da macht ihr Torwart einen letzten weiten Abstoß - und sie schießen den Ausgleich in den letzten Sekunden. Die Kroaten natürlich völlig von der Rolle und beim anschließenden Elfmeterschießen zeigen zwei der Schützen Nerven. Kroatien, das Deutschland in der Vorrunde geschlagen hatte und Gruppensieger war, war raus. Bei dieser WM sind noch drei Kroaten vom 2008er Kader dabei, darunter die beiden Elfmeterschützen, die 2008 vergaben. Und der entscheidende Elfmeter gestern abend wurde von einem von ihnen reingemacht!
Solche Geschichten kann Fußball schreiben. Wenn man genauer hinguckt, macht es manchmal noch mehr Spaß.
Nun zum zweiten Teil der Serie zu Fußballdeutschland. Auch da lohnt sich ein genaueres Hinsehen für mehr Freude.
Es gibt, das erlaube ich mir mit meinen internationalen Kontakten und meinen Jahren im Ausland zu sagen, eine spezielle Sache in der deutschen Mentalität: Dieses Schwanken zwischen den Extremen. Es geht immer von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt. Dazwischen gibt es nichts. Es scheint insbesondere eine merkwürdige Lust zu geben, sich an Weltuntergangsstimmung zu laben. Das steht einer nüchternen Analyse und einer Verbesserung in kleinen Schritten im Weg - auch im Fußball.
Es wird so getan, als sei ein Vorrundenaus der absolute Untergang, als sei das für einen amtierenden Weltmeister eine ungekannte Schmach. Wie solle es denn jetzt weitergehen?
Die nüchternen Fakten:
- Alle Weltmeister sind schon einmal in der Vorrunde ausgeschieden. Deutschland war nur das letzte Land, dem das passierte.
- Amtierende Weltmeister, die in der Vorrunde rausflogen: Brasilien (sogar nach zweimaligem Titelgewinn hintereinander!), Frankreich, Spanien, Italien, Deutschland. Also die Regel, nicht die Ausnahme.
- Bis auf Brasilien und Deutschland haben alle anderen auch schon einmal die Quali nicht geschafft.
- Die Serien, von 1954 bis 2014 immer unter den besten 8 gewesen zu sein und zuletzt viermal hintereinander das Halbfinale erreicht zu haben, ist beeindruckend. Aber eben außergewöhnlich.
Deutschland ist also einfach nur ein normales Land. Das sollte uns Deutsche eigentlich freuen, das wollen wir doch sonst immer.
Die beeindruckende "unter den besten 8"-Serie hatte auch zwei Nachteile: Sie stand größerer Erneuerung im Weg und setzte, "was zu erwarten war", zu hoch an. Diese Erwartungshaltung ist nur bei Brasilien ausgeprägter, wo alles außer der Titel nichts ist. Übrigens der Grund, warum ich die brasilianischen Fans nicht mag.
Was für einen Dreck Deutschland bei einigen WMs zusammengespielt hat und es dennoch weit geschafft hat! Es ist doch kein Wunder, wenn sich nun alle anderen freuen, dass endlich auch in Deutschland nur mit Wasser gekocht wird.
Fußball ist kein Sport, wo man gewöhnlicherweise konstant an der Spitze steht, sondern gleicht einer Achterbahnfahrt. Das muss man als Spieler natürlich verdauen lernen. Gestern war die heiße Sängerin Rihanna froh, ein Selfie mit Dir zu machen, heute spottet die ganze Welt über Dich.
"Vom Helden zum Deppen" und umgekehrt ist es ein kurzer Weg. Schauen wir einmal auf das umgekehrt. Brasilien war 1966 in der Vorrunde raus und wurde 1970 Weltmeister. Frankreich hatte sich 1990 und 1994 nicht einmal qualifiziert und wurde 1998 Weltmeister. Es gibt also Beispiele für eine fulminante Rückkehr - und das waren nur die krassesten Fälle.
Deutschland ist dreimal bei einer EM in der Vorrunde rausgeflogen. Bei der nachfolgenden WM kam man zweimal ins Finale, einmal wurde es ein dritter Platz. Es gibt also auch Beispiele für Erneuerung (oder zumindest Rückkehr nach oben) in der deutschen Fußballgeschichte.
Also Schluss mit dem Drama! Akzeptieren wir, dass wir normal sind.
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