07.03.2014, 10:17
(07.03.2014, 00:11)Achwas schrieb: So, getz isses soweit, muß ja eh alles raus (bitte anschnallen und sich nicht auf Füsse getreten fühlen):Einen Grund zum "auf die Füße getreten Fühlen" gibt es nicht, wenn Du Deine Meinung vertrittst. Aber ich sehe die Sache ganz deutlich anders, teilweise sogar konträr.
(07.03.2014, 00:11)Achwas schrieb: Die Leute sind irgendwie "pro-europäisch" - was immer das heissen mag. Da trifft es sich natürlich blöd, dass der (gewählte) Präsident auf russischen Druck ein Abkommen mit der EU canceln muss.Der Startschuß der Demonstrationen - zumindest in nennenswertem Umfang - war die Absage der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU. Die Westannäherung hatte Janukovich seinem Volk versprochen. - Ja, es hat auch mich gewundert, daß eine solche politische Richtungsentscheidung solch hartnäckige Proteste auslösen kann. Aber man muß natürlich auch sehen, daß den (West-)Ukrainern von ihm quasi die Orangene Revolution und deren Früchte gestohlen wurde. Damals wurde er wegen offensichtlichen Wahlbetrugs aus dem Amt gejagt und nun wendet er sich von der lange versprochenen EU-Annäherung ab. Für die (West-)Ukrainer war das offenbar ein Schlag ins Gesicht. Die sind ersichtlich "pro-europäisch" in dem Sinne, daß sie hin zur EU und weg von Rußland wollen.
(07.03.2014, 00:11)Achwas schrieb: Die "Oppositionsführer" mit u.a. Klitschko (dessen Legitimation ist eine Kandidatur zum Kiewer Bürgermeister, wo er 19% der Stimmen erzielte) eilen schnell herbei und erkundigen sich, um was es sich handelt.Es ist völlig normal, daß eine Protestbewegung Köpfe und Identifikationsfiguren braucht, am Besten auch solche, die international bekannt sind. Und auch wenn von denen nicht der Startschuß gegeben wird, müssen sich solche Personen dann auch an die Spitze von Bewegungen setzen. Timoschenko saß noch im Knast (aufgrund von Rache-Justiz Janukovichs, das sollte man nicht vergessen) und Klitschko war schon früher ein Oppositionspolitiker gegen die Janukovich-Partei. - Als in Ägypten die Umstürze kamen, war auch jedesmal Herr el-Baradei plötzlich da und wollte in der neuen Ordnung mitmischen (solange sie in eine ihm genehme Richtung ging), ohne daß er selbst der Auslöser der Proteste gewesen wäre. Dieses Phänomen, daß bekannte Oppositionelle hinzutreten, wenn ein Protest schon am Laufen ist, ist nichts speziell Ukrainisches. Und es ist auch weder illegitim noch macht es die Widerstandsbewegung unglaubwürdig.
(07.03.2014, 00:11)Achwas schrieb: plötzlich tauchen da ganz andere Gesichter auf - vor allem die, die andauernd vermummt umherlaufen (nicht nur die Bandera-Fans von Swoboda, es bildet sich eine noch weiter rechtsaußen stehende Fraktion namens "Rechter Sektor" - wenn die reden, besser nicht zuhören, deswegen wird über deren Ziele mit KEINEM Wort in der westlichen Presse berichtet).Das kann ich so nicht bestätigen. In fast jeder Talkrunde über die Ukraine wird diese rechte Szene angesprochen, mal ausführlicher, mal knapper. Es ist wohlbekannt und unbestritten, daß es diese Leute gibt. Das sind Rechtsradikale bzw. extreme Nationalisten, die sicher nichts Gutes im Sinne haben. Daß solche Kräfte sich bei laufenden Unruhen allzugerne hervortun, ist weder erstaunblich, noch ein Einzelfall. In den Umstürzen des Arabischen Frühlings haben auch immer die Radikalislamisten mitgemischt, wenngleich die Auslöser und die Mehrheit der Protestbewegung ganz andere Ziele hatten.
Man kann nichts daran ändern, daß auch solche Leute aus ihren eigene Motiven heraus bei Protesten mitmachen, diese gewissermaßen ein Stück weit zweckentfremden (und damit in Verruf zu bringen drohen). Wichtig ist nur, solche Leute von der neuen Ordnung nach einem erfolgten Umsturz möglichst fernzuhalten. Geben tut es sie aber in fast jedem Staat.
(07.03.2014, 00:11)Achwas schrieb: Mit Unterstützung (Westwelle, Ashton u.a. Prominenz treffen auf dem Maidan ein) des Westens werden die Forderungen der "Opposition" härter - erst soll eine neue Regierung gebildet werden - vielleicht entsinnt sich noch jemand des großen Durchbruchs, als der Präsident mit der neuen Opposition den Vertrag unterzeichnet und eine neue "Übergangsregierung" bilden will - grinsender Klitschko mit Hände-Schütteln in den Medien - sowie baldige Neuwahlen. Alles gut.Westerwelle war doch zu der Zeit schon gar nicht mehr im Amt. Den Vertrag zwischen Janukovich, Klitschko und den anderen Oppositionsparteien hat Steinmeier zusammen mit den Außenministern Frankreichs und Polens vermittelt. - Und ja, das kann man als Durchbruch werten, weil Janukovich da erstmals überhaupt Zugeständnisse gemacht und nicht nur auf Zeit gespielt hatte. Allerdings hätte ihm dieser Vertrag noch immer sein Amt - welches er diktatorisch ausgeübt hat - bis Ende des Jahres gesichert. Und das war schon nach den Maidan-Toten. Daß die Demonstranten das nicht billigen konnten, hatte ich mir gedacht. Daß der Umsturz schon am nächsten Tag kommen würde, hätte wohl niemand erwartet.
(07.03.2014, 00:11)Achwas schrieb: Der geschlossene Vertrag iss irgendwie doch nicht so gut, der Westen fordert mehr.Ich kann nicht erkennen, daß der Westen hier besondere Forderungen eingebracht hätte. Er hat die Opposition gegen Janukovich politisch unterstützt, das ja. Gegen ein diktatorisches Regime ist das auch legitim. Aber die Forderungen kamen von den Demonstranten bzw. deren Führern selbst. Die haben sich auch nicht bzw. nur sehr sporadisch mit ausländischen Politikern aus dem Westen getroffen. Daß der Westen hier als scharfmacher agiert hätte, dafür sehe ich keine Belege.
(07.03.2014, 00:11)Achwas schrieb: Plötzlich gelingt es den friedlichen, unbewaffneten Demonstranten Regierungsgebäude zu stürmen und mehrere Hundertschaften der Polizei (angeblich auch "Elite-Einheiten") gefangen zu nehmen. Glückwunsch! Das muss man erst mal hinkriegen. Zuletzt kommt es zu tödlichen Schüssen auf dem Maidan-Platz mit über 100 Toten.Die Maidan-Bewegung war zuletzt - sicher auch der Rechtsradikalen wegen, die sich da untergemischt hatten - nicht mehr gänzlich friedlich. Da waren auch Waffen im Spiel. Und ja, mit rein friedlichen Demonstrationen wäre Janukovich nicht aus dem Amt zu bekommen gewesen. Erst die Eskalation der Gewalt hat den Druck so erhöht, daß er letztlich aufgeben mußte.
Böser Präsident! Nanu: jetzt will plötzlich niemand mehr was davon wissen, wer warum auf wen geschossen hat (heise - die neue "Regierung" hat plötzlich kein Interesse mehr festzustellen, wer da geschossen hat.
Was an dem besagten Abend mit den vielen Toten genau geschehen ist, weiß niemand so genau. Aber thematisisert wurde es in unseren Medien schon, z.B. gerade gestern Abend. Ich meine, es war das ZDF spezial (evtl. aber auch der ARD-Brennpunkt), in dem auf Basis des verfügbaren Bildmaterials der Frage nachgegangen wurde, wer da auf die Demonstranten geschossen hat.
Es wurde dreierlei deutlich herausgestellt:
- Waffen gab es nicht nur auf Seiten der Regierungskräfte, sondern auch auf Seiten der Demonstranten.
- Wer zuerst geschossen hat, läßt sich nicht klären.
- Die scharfen Schüsse auf Demonstranten, die zu den vielen Toten geführt haben, haben Männer abgegeben, die Panzerfahrzeuge hatten und Uniformen mit gelben Armbändern trugen. Sie bewegten sich wie eine militärisch geschulte Einheit.
Verschwörungstheorien gibt es immer und manchmal sollte man sie auch ernst nehmen. In Syrien gab es auch den Verdacht, die Opposition habe sich selbst mit C-Waffen beschossen, um die USA auf den Plan zu holen. Denn natürlich kann eine Eskalation auch für das Ziel eines Umsturzes nützlich sein. Ganz ausschließen kann man das auch hier nicht. Eine saubere Aufklärung ist in diesen Zeiten des Umsturzes auch nicht zu erwarten. Aber die Hinweise überwiegen momentan wohl eher für die Vermutung, daß die gezielten Schüsse auf Demonstranten von regierungstreuen Truppen kamen.
(07.03.2014, 00:11)Achwas schrieb: Und die neue "Regierung" beschließt allerlei Gesetze: mit was ist diese Regierung legitimiert? Schert die westliche Presse doch nicht.Die neue Regierung ist vom Parlament gewählt. Das Parlament wurde niemals aufgelöst, es sind nur ca. 2/3 der Leute aus der Janukovich-Partei "mal eben" zur Opposition übergelaufen. Wie freiwillig das war, darüber mag man sich streiten, das wird von den Rußlandtreuen ja auch bezweifelt. Aber eine formale Legitimation liegt wohl durchaus vor (anders als für den Chef des neuen Krim-Regionalparlaments).
Daß dies keine demokratisch legitimierte Regierung im eigentlichen Sinne ist, weiß wohl jeder. Deshalb soll es ja auch schon im Mai Neuwahlen geben. Eine Phase der nicht-demokratischen Übergangsregierung gibt es bei jedem Umsturz. Das war auch 1989 nicht anders bis zu den ersten freien Wahlen in der DDR.
(07.03.2014, 00:11)Achwas schrieb: trotzdem finde ich, vor irgendwelchen Beschlüssen sollte da erstmal gewählt werden.Hier gebe ich Dir teilweise Recht. Zwar kann man nicht vor "irgendwelchen Beschlüssen" Wahlen abwarten, da auch in einer Übergangszeit ein Land eine Regierung braucht. Aber vor weitreichenden und aufschiebbaren Beschlüssen sollten die nächsten freien Wahlen abgewartet werden. Dahingehend war weder das (zum Glück gescheiterte) Sprachen-Gesetz sinnvoll noch finde ich es sehr geschickt, wenn die EU noch mit der Übergangsregierung Teile des strittigen Assoziierungsabkommens unterzeichnen will. Gerade bei letzterem sollte man wirklich auf eine neugewählte Regierung warten.
(07.03.2014, 00:11)Achwas schrieb: man darf aber vielleicht noch daran erinnern, um was es da eigentlich geht, nämlich die endgültige Revision der Ergebnisse des 2. Weltkriegs.Nein, der zweite Weltkrieg ist seit fast 70 Jahren zu Ende und seine Ergebnisse stehen fest. Mit denen muß sich jeder Staat und jede Volksgruppe arrangieren. Die Polen streben auch nicht danach, ihr Land wieder nach Osten auszuweiten und Deutschland erkennt nach wie vor die Oder-Neiße-Grenze an. Die Krim wurde vom Sowjetpräsidenten Chruschtschow 1954 (also 9 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg!) der Ukraine zugeschlagen.
Hier geht es insofern um die Frage, wie die Welt regiert, wenn sich ein Staat zum zweiten Mal innerhalb von kurzer Zeit mit fadenscheinigen Argumenten Teile eines anderen Staates (faktisch oder komplett) einverleibt. Es gibt kein Recht, seine Staatsbürger militärisch in fremden Staaten zu schützen. Putin hat Rußland Teile von Georgien mit militärischer Gewalt faktisch zugeschlagen. Nun soll Ähnliches mit der Krim und wer weiß noch welchen Gebieten passieren. Das wird man nicht verhindern können, weil Putin da schlicht am längeren Hebel sitzt. Aber zumindest diplomatisch muß man deutlich machen, daß dies von der westlichen Welt nicht gebilligt wird.
"Haut die Säbel auffe Schnäbel."