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Efferdmorgen
#2
Thorwal, 29. Efferd (Praiostag)
Die letzten 24 Stunden hatte sich einiges getan. Vor dem Einschlafen blickte ich durch die Gesichter der Vergessenen - zwei fielen mir dabei besonders auf. Da war zum Einen dieser finster drein blickende Greis mit weißem Rauschebart. Auch wenn er nicht mehr der Jüngste ist, seine eisgrauen Augen in Kombination mit diesem durchdringenden Blick hatten eine furchteinflößende Wirkung auf mich. Dieser alte Mann scheint eine besondere Aura zu haben. Außerdem war da noch diese Elfe, die trotz ihrer geringen Körpergröße durch ihre schneeweiße Haut in Kontrast zu ihren tiefschwarzen Haaren immer wieder aus den umher stehenden Gestalten hervorstach. Diese beiden waren bestimmt nicht zur Armenspeisung nach Thorwal gekommen. Müde und erschöpft schlief ich zügig ein.
Ungefähr zwei Stunden später wurde ich durch eine laute Auseinandersetzung aus dem Schlaf gerissen. „Bei Swafnir!“, tönte es aus einer rauen Männerkehle unmittelbar vor dem Eingang des Tempels. „Lass deine Gaukeleien schleunigst sein, sonst setzt’s was!“ - „Warum junger Mann so bös‘ zu Isidor?“, antwortete der angepöbelte Gaukler, ein schmächtige Kerl südlichen Aussehens, etwas älter als ich, der hier in Thorwal wohl ebenso fremd war. „Los, verzieh‘ dich!“ Isidors Gegenüber, ein junger Thorwaler Hüne von vielleicht 20, maximal 22 Götterläufen, war es offensichtlich bitterernst. Hastig erhob ich mich von meinem Lager und eilte nach draußen. „Augenblick, junger Krieger“, versuchte ich in bestem Thorwalsch zu antworten. „Mir scheint, die Thorwaler Gastfreundschaft ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Wenn Ihr Streit sucht, dann sucht ihn mit Euresgleichen, aber vergreift Euch gefälligst nicht an Schwächeren!“ - „Oho, noch ein Fremder. Thorwal scheint ja heutzutage ein beliebtes Reiseziel geworden sein. Bei Swafnir! Bjaki Torgesson lässt sich doch nicht von einem dahergelaufenen mittelländischen Waldschrat über den Mund fahren!“ - „Mir scheint, Bjaki Torgesson muss sich sehr wohl von einem mittelländischen Waldschrat über den Mund fahren lassen, wenn er sich jetzt nicht augenblicklich bei diesem Gaukler entschuldigt und Premer Feuer trinken geht.“ - „Letzte Warnung: Halt dich da raus, Fremder!“ - „Lass uns bitte ihrzen. Bei einer so schwierigen Auseinandersetzung hilft uns beiden Distanz.“ - „Wie du willst, Fremder.“ Gereizt schmiss der Hüne sein Skraja auf den Boden. Ein Säbel folgte. Anschließend griff er zu einer Schnapsflasche. Als er gerade zu trinken ansetzen wollte, unterbrach ich ihn: „Musst du dir gegen einen mittelländischen Waldschrat erst Mut antrinken?“ Stolz legte er die Flasche weg. Währenddessen streifte ich meinen Köcher von der Schulter, ging in die Knie und legte meine Waffen sanft auf den Boden. „Pah! Bogen und Dolch. Warum wundert es mich nicht, dass einer wie du keine ehrenhaften Waffen kennt? Übrigens, nette Tätowierung, die du da auf der Schulter unter deinem Köcher versteckt hast. Was bedeutet denn das Bildchen?“ Ich versuchte, nicht darauf einzugehen. Inzwischen war es uns gelungen, die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf uns zu richten. Zu meinem Erstaunen zeigten sich die Leute hier überhaupt nicht schockiert, sondern eher das Gegenteil schien der Fall zu sein. „1 Dukaten auf Torgesson“, hallte es aus dem Hintergrund. Prompt kam die Antwort: „Dagegen.“ - „Nicht kämpfe‘ wegen Isidor!“, versuchte der Gaukler zu vermitteln. Wie mir scheint, wird hier im Norden jedoch eher weniger Wert auf Vermittlung gelegt. „Wenn ich mit dem Waldschrat fertig bin, dann vermittel‘ ich dir, was ich von Vermittlung halte!“, spottete Torgesson. „Und du, Fremder, du wirst gleich um Gnade winseln. Keine Tritte, keine Waffen, keine Magie, hier in Thorwal sind nur die Fäuste erlaubt. Damit du’s schon mal weißt: Heiler Noro hat sein Haus hier rechts um die Ecke.“ Ich schwieg. Alles was es zu bereden gab, war jetzt gesagt.
Jetzt sollten die Fäuste sprechen. Bjaki holte aus, um mir seine Rechte zu verpassen, ich wich aus. Normalerweise hätte ich ihn durch geschickten Beineinsatz von denselben geholt, aber natürlich wollte ich mich an die Regeln halten. Ich bin fremd in Thorwal und wollte so wenig wie möglich auffallen. Meine Taktik bestand darin, ihn zunächst möglichst lange gegen mich anrennen zu lassen und immer wieder im letzten Moment auszuweichen, um mir einen Ausdauervorteil zu verschaffen, was allerdings nicht funktionierte. Ich hatte den Eindruck, dass der Junge von Runde zu Runde stärker wurde. Raufen schien sein Element zu sein. Zu seinem Erstaunen konnte ich jedoch gut mithalten. Die Sonnenstrahlen dieses Efferdmorgens verliehen mir immense Kräfte. Auch wenn ich noch nicht sagen konnte warum, aber das war kein normaler Faustkampf. Hier ging es um etwas Besonderes, das lag in der Luft, war aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht greifbar. Mit allerletzter Kraft schlug ich Bjaki zu Boden, sodass er liegen blieb und aufgab. Zum ersten Mal in seinem Leben.
Immer noch heftigst außer Atem band ich mir zuallererst wieder meinen Köcher über die Schulter, um die Tätowierung zu verbergen.
„Du bist besiegt, Bjaki Torgesson. Jetzt entschuldige dich zuerst bei Isidor und danach erkläre mir, was du gegen sein Gaukelspiel hast.“ - „Verzeiht, werter Gaukler.“ Bjaki klang niedergeschlagen. „Entschuldigung angenommen. Isidor denkt, du hast deine Strafe bereits erhalten.“ - „Das habe ich.“ - „Die paar Haue sind doch keine Strafe für Bjaki!“, tönte es aus der Menge. Isidor wandte sich der Menge zu. „Isidor nur sein kleiner Gaukler. Bjaki großer Krieger. Nicht Schläge Strafe für Bjaki, Demütigung Strafe für Bjaki.“ - „Ich habe dich unterschätzt, Isidor. Du scheinst gar nicht so dumm zu sein. Darf ich dich auf ein Premer Feuer in die ‚Vier Winde‘ einladen? Die müssten jeden Moment aufmachen.“ - „Gerne. Isidor freut sich über neuen Freund.“ - „Einen Augenblick noch, Bjaki. Du hast mir immer noch nicht verraten, warum dich Isidors Gaukelei so aggressiv gemacht hatte.“ - „Waldschrat, ich weiß‘ echt nicht, wo du lebst. Hetfrau Garhelt Rorlifsdottir-Jandasdottir ist gestern gestorben. Ganz Thorwal trauert.“ Sich von mir abwendend, sagte er zu seinem neu gewonnenen Bekannten: „Auf geht’s, Isidor. Die ‚Vier Winde‘ warten.“ Mit diesen Worten ließ er mich stehen.
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Efferdmorgen - von Fíonlaighrí - 08.02.2013, 16:29
RE: Efferdmorgen - von Fíonlaighrí - 09.02.2013, 10:09
RE: Efferdmorgen - von Fíonlaighrí - 10.02.2013, 16:42
RE: Efferdmorgen - von Fíonlaighrí - 12.02.2013, 16:18
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RE: Efferdmorgen - von Fíonlaighrí - 15.02.2013, 17:39
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RE: Efferdmorgen - von Sarzobal - 16.02.2013, 19:17
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RE: Efferdmorgen - von Fíonlaighrí - 25.02.2013, 18:28
RE: Efferdmorgen - von Hendrik - 25.02.2013, 22:33
RE: Efferdmorgen - von Fíonlaighrí - 27.02.2013, 22:59
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RE: Efferdmorgen - von Fíonlaighrí - 08.03.2013, 19:57
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