02.02.2014, 17:36
Overthorn, 21. Schlachtmond. Es ist Traviasdag.
Gegen Abend haben wir nach einer ruhigen und ereignislos verlaufenden Seefahrt die Hafenstadt Overthorn erreicht. Die gesamte Reise über stand ich an der Reling und starrte wie gebannt auf die graublaue Oberfläche des Hjaldinggolfs. Keine Spur von Svanja oder Isidor. Wieso auch? Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber wann ist das? Ich bin froh, dass ich einen Auftrag zu erfüllen habe, das lindert den Schmerz zumindest ein wenig.
"Überdorn" - so heißt die hiesige Stadt auf Garethi - weil sie auf einer Halbinsel über der Premer Halbinsel liegt, die die Form eines Dorns hat. So wie dieser Dorn im "Fleisch" der Halbinsel liegt, hatte ich ebenfalls noch eine Art Dorn in meinem Fleisch zu bereinigen. Swenjar Haldason oder so ähnlich lautete der Name des Tätowierers, an den ich mich wenden sollte. Während Aelil sich um ein Schiff in Richtung ihrer Heimat kümmerte (wo auch immer diese sein möge), suchte ich die Schänken auf, um zu erfahren, wo jener Tätowierer wohnt, den mir Bjaki in Vaermhag empfohlen hatte. Es dauerte nicht lange, bis ich vor einem Langhaus stand und ein Mädchen von vielleicht zwölf Jahren mit blonden Zöpfen mir die Tür öffnete. "Wer bist du? Was willst du?", fragte sie schüchtern. "Ich bin Fion. Ist dein Vater zu sprechen?" Nun tauchte auch noch ein Junge auf, der seine Schwester darauf hinwies, dass sie keinen Fremden die Tür öffnen solle. "Swanja, du weißt doch, dass du Fremden keine Tür öffnen darfst." - "Und du, Hergrim, bist nicht mein Vater, sondern mein Bruder!" , gab das Mädchen trotzig zurück. Unnötig zu erwähnen, dass ich beim Ausruf ihres Namens erneut von Traurigkeit gepackt wurde. Währenddessen erschien auch der Vater der beiden an der Tür. Ende dreißig, blonder Vollbart und diverse Zopfflechtereien an selbigen. Unter einem weißen Umhang blitzten zwei gestählte Arme hervor, die von oben bis unten tätowiert waren. Verwundert, was ich um diese Zeit noch von ihm wolle, blickte er mich an. "Seid Ihr Swenjar Haldason?", fragte ich in meinem bestem Thorwalsch. "Der bin ich." - "Man sagt, Ihr seid ein guter Tätowierer." - "Wer sagt das?" - "Ein Freund sagt das. Aber deshalb bin ich nicht hier." - "Sondern?" - "Sondern, weil, ich eine Tätowierung gerne entfernen würde." Nach dem obligatorischen Hinweis, dass das was kosten würde und meiner Versicherung, ihn bezahlen zu können, forderte er mich auf, ihm besagte Stelle zu zeigen. Ich nahm meinen Köcher ab und Swenjar blickte auf meine entblößte Schulter. "Sieh an, sieh an", kommentierte er. "Was haben wir denn da? Sieht aus wie die Zugehörigkeit zu einer Armee." - "Was ist?", hakte ich nach. "Kommen wir ins Geschäft?" - "Nicht so hastig mein Freund. Ihr habt meine Frage noch nicht beantwortet." - "Ich bezahle Euch nicht fürs Fragen stellen, sondern dafür, dass Ihr diese Tätowierung entfernt." Swenjar wurde jetzt ungemütlicher: "Fremder, niemand hat Euch gezwungen, mein Haus aufzusuchen. Aber merkt Euch eins: In meinem Haus stelle ich die Fragen. Also, was ist?" - "Verehrter Meister Swenjar. Ich schätze Eure Künste sehr. Ich bin von Weitem zu Euch gekommen, um Euer Handwerk in Anspruch zu nehmen. Ich bezahle Euch dafür. Es ist Eure Entscheidung, ob Ihr ein Geschäft machen wollt oder nicht." Swenjar jedoch schienen meine Worte kalt zu lassen. "Weite Reise ist gut. Kann es sein, dass Ihr auf der Flucht seid?" Ich wurde bleich, versuchte mir jedoch nichts anmerken zu lassen. Wie konnte er das wissen? "Nun, die Vögel zwitschern, dass ein mittelländischer Bogenschütze auf der Flucht vor seiner gerechten Strafe sei." - "Und was hat das mit mir zu tun?" Der Tätowierer wurde jetzt richtig ungemütlich. "Nun, wie ich an Eurer Aussprache unschwer höre, seid Ihr Mittelländer und Ihr tragt das Erkennungszeichen der Greifenfurter Bogenschützen." Ich war wie versteinert. Woher wusste er das alles? Ich versuchte, mich um Kopf und Kragen zu reden. "Woher wollt Ihr als Thorwaler wissen, welche Erkennungszeichen unsere Armee hat?" Er überlegte kurz. Dann gab er mir den Rest. "Ach, was soll's! Ihr könnt damit ja doch nichts anfangen. Vor einiger Zeit tauchte eine mittelländische Kriegerin hier auf, die ihr Leben der Mutter des Gottwals geweiht hatte. Ich dachte zuerst, sie wolle sich tätowieren lassen, aber dem war nicht so. Stattdessen sagte sie mir, dass sie einen Fahnenflüchtigen jage, der großes Unheil über die Stadt Greifenfurt gebracht habe. Wahrscheinlich sei er in den Norden geflohen und wolle sich seiner Tätowierung entledigen, um die Spuren seiner Vergangenheit zu verwischen. Sie werde innerhalb der nächsten Tage wieder hier vorbeikommen, vorerst müsse sie noch etwas anderes erledigen. Falls sich dieser Fahnenflüchtige jedoch bei mir melden solle, möge ich ihn an seiner Flucht hindern....Und jetzt kommt Ihr..." - Erstaunlicherweise blieb er ziemlich locker. Offenbar rechnete er nicht damit, dass ich fliehen würde. Wie sollte dies auch möglich sein? Overthorn ist von Klippen umgeben, die einzige Verbindung in die Welt ist der Hafen. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr realisierte ich, dass ich keine Möglichkeit zu entkommen hatte."Was hat sie Euch dafür versprochen?", fragte ich mit dem Mut der Verzweiflung. "200 Dukaten." - "Und wenn ich Euch 1000 dafür gebe, dass Ihr mich laufen lasst, 1000 dafür, dass Ihr der Kriegerin gegenüber dichthaltet und weitere 1000 für das Entfernen der Tätowierung?" Der Alte brach in höhnisches Gelächter aus. "Und wo - wenn ich fragen darf, wollt Ihr, ein Fahnenflüchtiger, 3000 Dukaten hernehmen?" Mutig legte ich 200 Dukaten auf den Tisch, die ich noch aus unserem Beutezug von Daspota her hatte. Er staunte nicht schlecht. Ich nutzte seine Verwirrung und legte nach: "Mehr habe ich nicht. Den Rest bringe ich Euch später." Offensichtlich zeigte mein Auftreten Wirkung. "Mittelländer", wandte er sich an mich, "ich schätze Euren Mut. Ich lasse Euch laufen und nehme Euch beim Wort, dass Ihr mir den Rest bei Gelegenheit bringt. Bringt mir den Rest und ich befreie Euch von Eurer Vergangenheit." Er steckte das Geld ein und reichte mir die Hand. "Eine Frage hätte ich jedoch noch: Warum habt Ihr nicht versucht, mich von Eurer Unschuld zu überzeugen?" - "Ganz einfach. Weil ich schuldig bin." Ich drehte mich um verschwand im Dunkel der Nacht.
Aelil hatte inzwischen ein Schiff ausfindig gemacht, das morgen ausläuft und uns nach Olport mitnimmt.
Während sie treu Bjakis Wunden auswäscht, liege ich auf meinem Lager und denke nach. Wer mag diese Kriegerin wohl sein? Eins habe ich gemerkt: Ich kann nicht ewig von meiner Vergangenheit davon laufen.
Gegen Abend haben wir nach einer ruhigen und ereignislos verlaufenden Seefahrt die Hafenstadt Overthorn erreicht. Die gesamte Reise über stand ich an der Reling und starrte wie gebannt auf die graublaue Oberfläche des Hjaldinggolfs. Keine Spur von Svanja oder Isidor. Wieso auch? Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber wann ist das? Ich bin froh, dass ich einen Auftrag zu erfüllen habe, das lindert den Schmerz zumindest ein wenig.
"Überdorn" - so heißt die hiesige Stadt auf Garethi - weil sie auf einer Halbinsel über der Premer Halbinsel liegt, die die Form eines Dorns hat. So wie dieser Dorn im "Fleisch" der Halbinsel liegt, hatte ich ebenfalls noch eine Art Dorn in meinem Fleisch zu bereinigen. Swenjar Haldason oder so ähnlich lautete der Name des Tätowierers, an den ich mich wenden sollte. Während Aelil sich um ein Schiff in Richtung ihrer Heimat kümmerte (wo auch immer diese sein möge), suchte ich die Schänken auf, um zu erfahren, wo jener Tätowierer wohnt, den mir Bjaki in Vaermhag empfohlen hatte. Es dauerte nicht lange, bis ich vor einem Langhaus stand und ein Mädchen von vielleicht zwölf Jahren mit blonden Zöpfen mir die Tür öffnete. "Wer bist du? Was willst du?", fragte sie schüchtern. "Ich bin Fion. Ist dein Vater zu sprechen?" Nun tauchte auch noch ein Junge auf, der seine Schwester darauf hinwies, dass sie keinen Fremden die Tür öffnen solle. "Swanja, du weißt doch, dass du Fremden keine Tür öffnen darfst." - "Und du, Hergrim, bist nicht mein Vater, sondern mein Bruder!" , gab das Mädchen trotzig zurück. Unnötig zu erwähnen, dass ich beim Ausruf ihres Namens erneut von Traurigkeit gepackt wurde. Währenddessen erschien auch der Vater der beiden an der Tür. Ende dreißig, blonder Vollbart und diverse Zopfflechtereien an selbigen. Unter einem weißen Umhang blitzten zwei gestählte Arme hervor, die von oben bis unten tätowiert waren. Verwundert, was ich um diese Zeit noch von ihm wolle, blickte er mich an. "Seid Ihr Swenjar Haldason?", fragte ich in meinem bestem Thorwalsch. "Der bin ich." - "Man sagt, Ihr seid ein guter Tätowierer." - "Wer sagt das?" - "Ein Freund sagt das. Aber deshalb bin ich nicht hier." - "Sondern?" - "Sondern, weil, ich eine Tätowierung gerne entfernen würde." Nach dem obligatorischen Hinweis, dass das was kosten würde und meiner Versicherung, ihn bezahlen zu können, forderte er mich auf, ihm besagte Stelle zu zeigen. Ich nahm meinen Köcher ab und Swenjar blickte auf meine entblößte Schulter. "Sieh an, sieh an", kommentierte er. "Was haben wir denn da? Sieht aus wie die Zugehörigkeit zu einer Armee." - "Was ist?", hakte ich nach. "Kommen wir ins Geschäft?" - "Nicht so hastig mein Freund. Ihr habt meine Frage noch nicht beantwortet." - "Ich bezahle Euch nicht fürs Fragen stellen, sondern dafür, dass Ihr diese Tätowierung entfernt." Swenjar wurde jetzt ungemütlicher: "Fremder, niemand hat Euch gezwungen, mein Haus aufzusuchen. Aber merkt Euch eins: In meinem Haus stelle ich die Fragen. Also, was ist?" - "Verehrter Meister Swenjar. Ich schätze Eure Künste sehr. Ich bin von Weitem zu Euch gekommen, um Euer Handwerk in Anspruch zu nehmen. Ich bezahle Euch dafür. Es ist Eure Entscheidung, ob Ihr ein Geschäft machen wollt oder nicht." Swenjar jedoch schienen meine Worte kalt zu lassen. "Weite Reise ist gut. Kann es sein, dass Ihr auf der Flucht seid?" Ich wurde bleich, versuchte mir jedoch nichts anmerken zu lassen. Wie konnte er das wissen? "Nun, die Vögel zwitschern, dass ein mittelländischer Bogenschütze auf der Flucht vor seiner gerechten Strafe sei." - "Und was hat das mit mir zu tun?" Der Tätowierer wurde jetzt richtig ungemütlich. "Nun, wie ich an Eurer Aussprache unschwer höre, seid Ihr Mittelländer und Ihr tragt das Erkennungszeichen der Greifenfurter Bogenschützen." Ich war wie versteinert. Woher wusste er das alles? Ich versuchte, mich um Kopf und Kragen zu reden. "Woher wollt Ihr als Thorwaler wissen, welche Erkennungszeichen unsere Armee hat?" Er überlegte kurz. Dann gab er mir den Rest. "Ach, was soll's! Ihr könnt damit ja doch nichts anfangen. Vor einiger Zeit tauchte eine mittelländische Kriegerin hier auf, die ihr Leben der Mutter des Gottwals geweiht hatte. Ich dachte zuerst, sie wolle sich tätowieren lassen, aber dem war nicht so. Stattdessen sagte sie mir, dass sie einen Fahnenflüchtigen jage, der großes Unheil über die Stadt Greifenfurt gebracht habe. Wahrscheinlich sei er in den Norden geflohen und wolle sich seiner Tätowierung entledigen, um die Spuren seiner Vergangenheit zu verwischen. Sie werde innerhalb der nächsten Tage wieder hier vorbeikommen, vorerst müsse sie noch etwas anderes erledigen. Falls sich dieser Fahnenflüchtige jedoch bei mir melden solle, möge ich ihn an seiner Flucht hindern....Und jetzt kommt Ihr..." - Erstaunlicherweise blieb er ziemlich locker. Offenbar rechnete er nicht damit, dass ich fliehen würde. Wie sollte dies auch möglich sein? Overthorn ist von Klippen umgeben, die einzige Verbindung in die Welt ist der Hafen. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr realisierte ich, dass ich keine Möglichkeit zu entkommen hatte."Was hat sie Euch dafür versprochen?", fragte ich mit dem Mut der Verzweiflung. "200 Dukaten." - "Und wenn ich Euch 1000 dafür gebe, dass Ihr mich laufen lasst, 1000 dafür, dass Ihr der Kriegerin gegenüber dichthaltet und weitere 1000 für das Entfernen der Tätowierung?" Der Alte brach in höhnisches Gelächter aus. "Und wo - wenn ich fragen darf, wollt Ihr, ein Fahnenflüchtiger, 3000 Dukaten hernehmen?" Mutig legte ich 200 Dukaten auf den Tisch, die ich noch aus unserem Beutezug von Daspota her hatte. Er staunte nicht schlecht. Ich nutzte seine Verwirrung und legte nach: "Mehr habe ich nicht. Den Rest bringe ich Euch später." Offensichtlich zeigte mein Auftreten Wirkung. "Mittelländer", wandte er sich an mich, "ich schätze Euren Mut. Ich lasse Euch laufen und nehme Euch beim Wort, dass Ihr mir den Rest bei Gelegenheit bringt. Bringt mir den Rest und ich befreie Euch von Eurer Vergangenheit." Er steckte das Geld ein und reichte mir die Hand. "Eine Frage hätte ich jedoch noch: Warum habt Ihr nicht versucht, mich von Eurer Unschuld zu überzeugen?" - "Ganz einfach. Weil ich schuldig bin." Ich drehte mich um verschwand im Dunkel der Nacht.
Aelil hatte inzwischen ein Schiff ausfindig gemacht, das morgen ausläuft und uns nach Olport mitnimmt.
Während sie treu Bjakis Wunden auswäscht, liege ich auf meinem Lager und denke nach. Wer mag diese Kriegerin wohl sein? Eins habe ich gemerkt: Ich kann nicht ewig von meiner Vergangenheit davon laufen.