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Roman Gezeichneter Schatten [Spoileralarm]
#5
Mittelreicher
Rahja 1016 BF

Seit der aus dem Raschtulswall herabgestiegen war, erstreckte sich das dürre Grasland bis an den Horizont. Seit einigen Tagen begann die Landschaft jedoch immer hügeliger zu werden und das Gras auch etwas grüner. Trotzdem zeigte sich nur selten ein Baum.
Mittelreicher hatte es nicht übermäßig eilig, nach Fasar zurückzukommen. Fast war er enttäuscht, als er die höchsten Türme der Erhabenen vom nächsten Hügel ausmachen konnte. Er brauchte aber noch eine ganze Tagesreise, um sein Ziel zu erreichen. Fasar die Mutter aller Städte. Er musste sich beeilen, bald würde die Nacht hereinbrechen und in Fasar gab es als einzelner kaum eine sichere Straße. Natürlich musste er sich nicht fürchten, vor geschlossenen Toren zu stehen. Fasar besaß keine Stadtmauer. In dieser chaotischen Stadt wäre das auch nicht sinnvoll gewesen. In kürzester Zeit hätten die Bewohner für ihre dürftigen Lehmhütten die Steine weggeschleppt oder einer der herrschenden Erhabenen hätte beschlossen, sein Einzugsgebiet zu erweitern und einfach die Mauer eingerissen. Man konnte diese Stadt mit einem riesigen Ameisenhaufen vergleichen, in dem alles verwertet wird und der einfach immer weiterwächst, ohne dass eine einzelne Ameise wüsste wie. Mittelreicher sah sie jedoch eher wie ein boshaftes Geschwür, das alles Verwertbare aus Menschen und Umgebung zog. Selbst vor dem Raschtulswall, seinen Gesteinen und Erzen, machte dieser Moloch nicht halt. Als Mittelreicher die ersten heruntergekommenen Lehmhütten passierte, war es bereits dunkel in den Gassen. Das gigantische Gebirge an dessen Fuß die Stadt erbaut wurde, verdeckte das Praiosgestirn zu dieser Jahreszeit sehr früh. Sein Ziel war der Turm des Auftraggebers Nareb al’Rhasid. Bei seinem Turm handelte es sich nicht um einen richtigen Burj, wie sie die Erhabenen bewohnten. Gebäude mit über zwanzig Stockwerken, gebaut aus Lehmziegeln und zusammengehalten von der Macht mächtiger Dschini. Aber die Erhabenen waren die Herrscher über Fasar und es galt als Schick, diesen Nachzueifern. Narebs Turm bestand nur aus vier Stockwerken und war gegenüber diesen Meisterwerken der magischen Baukunst nur ärmlich anzuschauen, aber natürlich kein Vergleich zu den Lehmbehausungen der übrigen Bevölkerung, die dicht gedrängt im Schatten der großen Türme lebte und ständig durch deren Anblick ermahnt wurde, der Macht der Erhabenen und deren Eintreibern zu gehorchen. In den Armenvierteln von Fasar gab es einen Ausdruck. „Adal zi tuni“. Frei übersetzt mit „das Licht sehen“. Wer nicht mehr im Schatten eines anderen lebt, hat es geschafft, ist reich und glücklich. Viele Märchen beginnen mit dem Betteljungen, der es ganz bis nach oben in die Türme schafft. Tatsächlich war das in Fasar im Gegensatz zu den mittelreichischen Städten und ihren Adelsstrukturen theoretisch möglich, praktisch vorgekommen soll es in der Geschichte nur ein-, zweimal sein und selbst das bezweifelte Mittelreicher. Das einzige, was in dieser Stadt Freiheit bedeutete, war Geld.
Mittelreicher war schon wieder in Gedanken versunken, er kannte den Weg nach Mantrabad auswendig, aber jeden Tag konnten neue Gefahren auf ihn lauern, selbst für einen Mann mit einem derart großem Schwert, dass er in den engen Gassen ohnehin kaum hätte einsetzten können. Es war hier höchstens zur Abschreckung gut. Als er endlich den Turm seines Soldherren erreichte, haftete sicher mehr als ein Augenpaar auf ihm. Zum Glück kannte nicht nur sein toter Hauptmann das verabredete Klopfzeichen. Im Gegensatz zu den Türmen der Erhabenen war der Turm des Handelsherren Nareb nicht an das Brückensystem angebunden, dass die Gebäude der Reichen untereinander verband und hatte daher auf der Höhe des Erdbodens einen Eingang. Es galt als vornehm von sich zu behaupten, dass die eigenen Füße noch nie den Erdboden berührt hatten. Die Behausungen der Erhaben besaßen oft nicht einmal einen Dienstbotenausgang und hatten stattdessen geheime Tunnel, die vor die Stadt führten.
Endlich wurde Mittelreicher eingelassen. Der gebeugte alte Diener fragte: „Was willst du?“ „Die Söldnerkompanie Khoramsbestien im Dienste des Herrn Nareb meldete sich zurück.“ Wo ist dein Hauptmann? „Ich bin der Hauptmann“ Mit dieser Antwort log Mittelreicher nicht einmal. Als einziger Überlebender hatte er automatisch den höchsten Rang inne. „Na komm rein, mein Herr erwartet euch schon seit zwei Tagen zurück. Zusammen mit zwei Leibwächtern wurde Mittelreicher die Treppe hinauf in das Stockwerk von Nareb al’Rhasid   geführt. Der Mittelreicher konnte nur einige Brocken Tulamida, aber soweit er wusste bedeutete der Name seines Auftraggebers „der Weiße“ oder auch „der Gerechte“. Nareb war allerdings keines von beidem, was Mittelreicher wieder vor Augen führte, dass Namen nur bedeuteten, dass man von anderen so genannt wurde beziehungsweise sich so nennen ließ. Nareb hatte durch seinen skrupellosen   Abbau von Alabaster einen gewissen Reichtum erlangt, dabei richtete er zwar seine Arbeiter und Sklaven zu Grunde, aber das war nicht das Problem von Mittelreicher. Sein Problem war, dass die Steinbrüche von Nareb von den wilden Ferkinas überfallen wurden und die angeheuerte Kompanie den Auftrag hatte, dem ein Ende zu setzen. Und dieses Problem war gelöst. Zusammen mit den Leibwächtern betrat er das Arbeitszimmer. Wenn das nur irgendmöglich war, hatte Nareb nochmal mächtig zugelegt, seit er ihn beim Abmarsch der Kompanie das letzte Mal flüchtig gesehen hatte. Der riesige Leib des Mannes thronte auf einem Diwan, gehüllt in die edelsten Seidenkleider. In dem aufgedunsenen Gesicht konnte Mittelreicher keine Regung ausmachen. Es war, als wäre mit Wachs jede kleine Kontur zu einem unförmigen Ball geformt worden. Nur die beiden kleinen Schweinsäuglein drückten eine Art Verwirrung aus. „Wo ist der Rest deiner Truppe“, fragte er in schwerfälligem Garethi. „Tod, genauso wie die räuberischen Ferkinia“, lautete die einsilbige Antwort. Narebs Stirn hätte eine tiefe Falte gezeigt, wenn seine Gesichtsmuskeln noch in der Lage gewesen wären die Fettwülste entsprechend weit nach oben zu bewegen. „Beanspruchst du die Kopfprämie?“ „Nein.“ Die wulstigen Lippen Narebs verzogen sich zu einem Lächeln. Er hatte gerade nicht nur das versprochene Kopfgeld, sondern auch den Sold der kompletten Kompanie gespart. „Ich habe einen neuen Auftrag für dich. Bezahlung nach dem Kunchomer Kodex. Interessiert?“ „Bezahlung als Hauptmann?“, fragte Mittelreicher nach. „Ja, von mir aus auch als Hauptmann. Ich habe einen Konkurrenten, dem ein Besuch abgestattet werden soll. „Ein Besuch?“ fragte Mittelreicher und ignorierte damit bewusst die Ironie in der Stimme Narebs. „Nachdem jetzt das lästige Problem mit den Eingeborenen gelöst ist, möchte ich mein Unternehmen vergrößern. Allerdings hat sich dieser Konkurrent“ - Narebs Stimme drückte tiefgehendste Verachtung aus - „davon wenig begeistert gezeigt. Er ließ sich sogar dazu hinreißen, mir zu drohen. Kannst du dir das vorstellen?“ Mittelreicher antwortete lediglich mit einem Kopfschütteln, obwohl er das sehr wohl konnte. „Also habe ich beschlossen, eine entsprechende Maßregelung vorzunehmen. Ich möchte, dass du in den Turm meines Konkurrenten eindringt und dafür sorgst, dass er mit niemandem mehr Geschäfte macht.“ „Ich allein?“ „Nein natürlich nicht. Nachdem die Khoramsbestien nicht ganz auf Soldstärke sind, werde ich dir zwei meiner persönlichen Leibwachen mitgeben und einen… Magier.“ Nareb zeigte mit einer angedeuteten Kopfbewegung zur Seite. Hinter einem Vorhang trat ein Mann mit reich besticktem Kaftan hervor. Dem Mittelreicher fiel es noch immer schwer das Alter der Tulamiden zu schätzen, hätte er sich jedoch festlegen müssen, hätte er den Mann auf Ende zwanzig oder Anfang dreißig geschätzt. Der Bart war pedantisch akkurat Gestutzt und die grünen Augen verrieten einen wachen Geist. „Salam, mein Freund! Möge Feqz bei unserem Auftrag schützend seine Hand über dich halten. Mein Name ist Tulachim ibn Tulef.“ Mittelreicher hob zu einer Antwort an: „Ich dachte ihr Magier bevorzugt Hesinde, nicht Phex als Schutzgott“. „Das mag für meine Kollegen aus Gareth sehr wohl zutreffen und ich mag nicht leugnen, dass unsere Kunst uns in große Nähe zur weisen Hesinde bringt, jedoch glauben wir hier, dass es niemand anderes war als Feqz, der den Menschen das Geschenk der Magie brachte. Außerdem ist der heilige Fuchs des Feqz hier weitaus beliebter als die Schlange der Hesinde. Hätten meine Vorfahren nicht die Plage der Echsenherrscher vertrieben, wären eure Werte seefahrenden Väter schon an den Küsten wieder ins Meer getrieben worden.“ Der Mittelreicher war schon seit langem mit den Redefluss der Tulamiden vertraut und versuchte gar nicht erst zu entgegnen, dass sein Vater Rübenbauer gewesen war und in seinem ganzen Leben niemals das Meer gesehen hatte und antwortete daher mit einem knapper Kopfnicken. „Wann soll es losgehen?“ Nareb, dem es sichtlich unwohl war, nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen, entgegnete: „Morgen, bei Sonnenuntergang werdet ihr euch bei meiner Familiengruft in Al’Uruch treffen.“ Bei Arbeiten haben meine Sklaven einen Zugang zu unterirdischen Gang in das alte Kanalisationssystem entdeckt. Von dort gibt es einen Weg in die Keller meines Konkurrenten. Die Karte hat mich eine beträchtliche Summe gekostet. Die Operation muss gelingen! Mit diesen Worten überreichte er ein Stück Pergament an Tulachim. Mittelreicher nickte und verließ den Raum ohne ein weiteres Wort.

Draußen atmete Mittelreicher tief ein. Zwar war die Luft in den engen Gassen alles anderes als frisch, jedoch war alles besser als der süßlich widerliche Duft der Rauschkräuter in Narebs Turm. Der Tag war bereits weit fortgeschritten. Die Sonne war schon fast hinter dem Raschtulswall verschwunden. Das Fehlen einer Laterne wurde von de Fasarern Nachtwächtern schon fast mit verbrecherischen Absichten gleichgesetzt. Mittelreicher durchstreifte die Gassen zielsicher auf der Suche nach seiner Herberge. Die Tulamiden waren es gewohnt, nach Sonnenuntergang die kalten Abendstunden für kleinere Arbeiten zu nutzen, zu essen oder Freunde zu treffen, um Neuigkeiten auszutauschen. Hier jedoch nahm das geschäftige Treiben der Stadt immer mehr ab, bis das einzig hörbare Geräusch von Mittelreichers Stiefeln stammte. In einer besonders kleinen und dunklen Gasse versperrte ihm eine zerlumpte Gestalt den Weg. Mittelreicher musste sich nicht umschauen, um zu wissen, dass hinter ihm mindestens eine weitere Person aufgetaucht war. Wieder schüttelte er nur langsam den Kopf und hoffte, dass seine jetzigen Gegner vernünftiger waren als die wilden Ferkinas. Mit einer bedächtigen Bewegung löste er sein großes Zweihandschwert von seinen Rücken. Es handelte sich um   eine Boronssichel. Die lange Klinge wurde von Fußvolk bevorzugt gegen gegnerische Reiterei eingesetzt. Im Gemenge war die Waffe zwar eher ungeeignet, aber über zwei Schritt maraskanischer Stahl schreckten die meisten Gegner ab. Die Gestalten verschwanden wieder in den Schatten. Zumindest diesmal würde er Kor nicht opfern.
Als Mittelreicher schließlich das runtergekommene Gebäude in einer schattigen Gasse im Viertel Unterfels erreicht hatte, trat er erleichtert ein. Die Luft im Gastraum war nicht nur verbraucht, sondern durch so viele Lungen gegangen, dass man die Anwesenheit der früheren Atmer bereits spüren konnte. Der breitgebaute Glatzkopf hinter dem Tresen nickte Mittelreicher nur zu. Er zahlte seine Miete, machte keinen Ärger und hatte ein viel zu großes Schwert. Die Zimmer waren erstaunlich sauber und es gab nicht viele andere Gäste. Nachdem er das Zimmer verrammelt hatte, fiel Mittelreicher in einen traumlosen Schlaf.
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RE: Roman Gezeichneter Schatten [Spoileralarm] - von Steve Barnes - 19.06.2017, 08:33



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